Taut, Bruno
Julius Florian |
Der Künstler unter den deutschen Architekten, zweiter Sohn des Kaufmanns Julius T., absolvierte 1897 das Abitur am Gymnasium in Königsberg. 1902 bestand er nach dreijähriger Maurerlehre die Prüfung als Baugewerksmeister in seiner Heimatstadt und arbeitete 1902–09 in verschiedenen Architekturbüros in Hamburg, Wiesbaden, Berlin und Stuttgart. Der Schüler des Städtebautheoretikers Theodor Goecke fand Aufnahme in einen Kreis von Architekten und Künstlern, dem u. a. Max Beckmann, Ernst Ludwig, Paul Bonatz sowie Theodor und Oskar Fischer angehörten. 1909 gründete T. mit Franz Hoffmann ein Architekturbüro in Berlin, dem sich 1913 sein Bruder Max anschloß. Es folgten erste eigene Projekte und Studienreisen ins In- und Ausland. Seit 1912 betätigte T. sich literarisch, publizierte ab 1914 zu grundsätzlichen Fragen der Architektur, wurde Mitglied im Deutschen Werkbund in Köln, hielt Verbindung zur Zeitschrift und Galerie Der Sturm und erwarb sich in der deutschen Gartenstadt-Bewegung einen Namen. 1917 vollendete er sein Werk “Stadtkrone”, das diesem Thema im Städtebau eine neue Dimension gab. Spätere Magdeburger Arbeiten wie die Pläne für das Kaufhaus Mittag, das Projekt Hotel “Stadt Köln”, das Büro-Hochhaus am Kaiser-Wilhelm-Platz, Entwürfe zur Elbuferbebauung oder Skizzen zur Feierhalle auf dem Friedhof Südost, die 1921–24 entstanden, versuchten die theoretischen Ausführungen zur “Stadtkrone” architektonisch umzusetzen. Zudem beschäftigte T. sich seit 1912 mit dem Kleinhausbau, dem er ein neues Selbstverständnis verlieh. Bereits 1913 nahm er mit den Planungen für die Gartenstadtkolonie “Reform” in Magdeburg Aufträge für den genossenschaftlichen Wohnungsbau an und stellte einen Bebauungsplan unter neuen Gesichtspunkten des Siedlungswesens auf, die fern von stringenten Vorgaben für städtebauliche Planungen lagen und den besonderen Anforderungen effektiven und preiswerten Bauens entsprachen. 1918 wurde er Mitbegründer des Arbeitsrates für Kunst und Mitglied der Berliner Novembergruppe. Fortdauernd engagierte er sich in einer Vielzahl von Initiativen für den modernen Wohnungsbau, agierte als Initiator der Briefe der “Gläsernen Kette” und als Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbundes. 1921 wurde er zum Stadtbaurat in Magdeburg berufen. Er band innovative Architekten, Städte- und Landschaftsplaner an sich, die als “Magdeburger Gruppe” bis zu Beginn der 1930er Jahre, lange nach T.s Weggang aus Magdeburg, seine Ideen, Anregungen und Pläne fortführten. Zu ihnen gehörten die Architekten Georg Gauger, Johannes Göderitz, Walter Günther, Carl Krayl, Konrad Rühl, Curt Schütz und Willy Zabel. T. leitete das Hochbauamt und das Städtebauamt, das er neu einrichtete, sowie das Feldmessamt mit gelegentlich anderen Dezernaten wie der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule. Hier entspann sich ein reges Konfliktfeld zwischen den konventionellen Kunstauffassungen der preußischen Kunstgewerbeschuldirektoren wie Rudolf Bosselt und den Forderungen T.s zur “Reform an Haupt und Gliedern”. Unter seiner Leitung entstanden farbenreiche Anstriche für Gebäude aller Art, zahlreiche Neubauten, vor allem aber die Eisenbetonhalle “Stadt und Land”. Sein kreatives städtebauliches Engagement für Farbigkeit führte zu zahlreichen Veröffentlichungen, so im Frühlicht, die der Stadt in den 1920er Jahren den Namen “Stadt des neuen Bauwillens” eintrugen. Große Verdienste erwarb sich T. um den in zweijähriger Arbeit entstandenen Generalbebauungsplan (1921/22), der nach fast 60 Jahren mit der Erarbeitung des Flächennutzungsplanes der Landeshauptstadt Magdeburg seine Wiederaufnahme fand. T. tat in Magdeburg nicht nur den Schritt zum erfolgreichen Organisator eines städtischen Bauamtes, sondern nahm hier auch seine Entwicklung zum bedeutenden Städteplaner. Die bereits 1913 formulierten Thesen, Siedlungs- und Städtebau einem “genius loci” unterzuordnen, klimatische, geologische und traditionelle Gegebenheiten eines Gebietes in Städteplanung einzubinden, haben bis heute nicht an Gültigkeit verloren und fanden ihre Umsetzung in T.s Magdeburger Plänen zur Stadterweiterung. Unterstützung erhielt er vor allem durch Magdeburgs Oberbürgermeister Hermann Beims und den Vorsitzenden der SPD-Fraktion Wilhelm Plumbohm, der ebenso die Interessen des Vereins für Kleinwohnungswesen vertrat. 1924 kehrte T. nach Berlin zurück, wo er nach dem in Magdeburg entwickelten und erprobten Konzept im Zusammenwirken mit gleichgesinnten Kollegen bis 1932 mehr als 10.000 Wohnungen baute und als beratender Architekt agierte. 1926 wurde er Mitglied der Architektenvereinigung der ring und reiste nach Moskau. Ab 1927 arbeitete er mit dem Schulreformer Fritz Karsen zusammen. 1930 erhielt er eine Honorar-Professur an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg und wurde 1931 Mitglied der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin und Ehrenmitglied des American Institute of Architects. 1932 siedelte T. nach Moskau über, flüchtete 1933 in die Schweiz, setzte sich schließlich über Umwege ins japanische Exil ab, wo er laufende Tagebuchaufzeichnungen begann. Seit 1936 lebte und lehrte er in Istanbul. T. war nicht nur Architekt, sondern auch Maler, Schriftsteller, Designer, Stadtbaurat und Hochschullehrer. In dieser Gesamtheit erschließt sich sein Werk. Jede dogmatische Zuordnung seiner Arbeiten war ihm fremd. Sein Schaffen lag zwischen den Utopien künstlerische Kühnheit und den städtbaulichen Möglichkeiten. In Magdeburg entstand u. a. die Schrift “Die neue Wohnung. Die Frau als Schöpferin” (1924), die darauf verwies, daß seine Vorstellungen zur “Volkswohnung” mit neuen sozialen Ideen einhergingen. T.s Konzept vom Dekorativen ergriff in Magdeburg schließlich auch andere künstlerische Bereiche wie die Fotografie mit Xanti Schawinsky, das Tanz- und das Figurentheater, Innenausstattung, Stadtmöblierung, neue Formen des Ausstellungswesens und der Reklame. Der soziale Aspekt des “Neuen Bauens” fand adäquate Entsprechung in den Schulreformen nach Berthold Otto sowie den neuen gesundheitspolitischen Ansätzen der SPD. T. erprobte ohne den Habitus des Avantgardisten die Kombination von Natur, Phantasie und Baukunst und setzte damit Maßstäbe für die Moderne.
Werke: Wettbewerb zum Haus der Freundschaft, Konstantinopel, 1916; Planungen für städtische und ländliche Bergarbeitersiedlungen in Kattowitz, 1917; Entwurf der Folkwangschule für Karl Ernst Osthaus 1919–22; Entwürfe für die MIAMA in Magdeburg, 1921 (mit Paul Mebes); Wettbewerbsentwürfe für den Neubau der Firma Heinrichshofen am Dom zu Magdeburg, 1931; Liste der Magdeburger Bauten und Projekte, in: Gisbertz, 2000 (s.u.). – Schriften: Ueber die Magdeburger Kunstgewerbeschule. Denk-Schrift, 1922; Bauen. Der neue Wohnbau, 1927; Werkbundausstellung “Die Wohnung” in Stuttgart-Weissenhof, 1927.
Literatur: Kurt Junghanns, B. T., 1880–1938, 1983; Hanns H. F. Schmidt, B. T. in Magdeburg, 1989; Manfred Speidel, B. T. Retrospektive. Natur und Fantasie 1880–1938, Kat. Magdeburg 1995; Annegret Nippa, B. T. in Magdeburg. Eine Dokumentation, 1995; Marta Doehler/Iris Reuther, Magdeburg – Die Stadt des Neuen Bauwillens, 1995; Regina Prinz, Neues Bauen in Magdeburg. Das Stadtbauamt unter B. T. und Johannes Göderitz (1921–1933), 1997; Von Magdeburg nahm ein “Frühlicht” seinen Weg, Stadtplanungsamt Magdeburg 2000; Olaf Gisbertz, B. T. und Johannes Göderitz in Magdeburg. Architektur und Städtebau in der Weimarer Republik, 2000 (W).
Bildquelle: *StadtA Magdeburg.
Heike Kriewald