Heinrichshofen, Theodor von |
H. erhielt seine Bildung bis zur Universitätsreife durch Privatunterricht seines Vaters Wilhelm v. H., studierte 1833–35 in Berlin neue Sprachen und schöne Künste und besuchte gleichzeitig Ernst Eiselens private Gymnastik-Anstalt, um sich zum Turnlehrer ausbilden zu lassen. Danach unternahm er drei Jahre lang ausgedehnte Bildungsreisen durch Deutschland, die Schweiz und Italien. 1840 trat er als Teilhaber in das Geschäft seines Vaters ein. Während dieser den Buchverlag weiterführte, galt H.s besondere Neigung dem Ausbau des Musiksortiments sowie dem Aufbau eines eigenen Musikverlages. Das Sortiment der Musikalienhandlung entwickelte sich unter seiner Leitung zum führenden und größten Musikalienlager Mitteldeutschlands. Bereits 1855 wurden eine eigene Musikalienstecherei und Druckerei, 1860 eine Kunsthandlung und eine Gemäldegalerie eingerichtet und die bereits zuvor betriebene Musikalien-Leihanstalt umfassend erweitert. Ab 1841 erschienen erste musikalische Verlagswerke, die überwiegend dem Bereich der Unterhaltungs- und Unterrichtsmusik zugehörten (leichte klavierbegleitende Lieder und Unterrichtswerke) und vor allem auf den Absatz im lokalen Umfeld zielten. Auch durch die Übernahme kleinerer Musikverlage 1847 und 1857 gab es keine wesentlichen Änderungen im Verlagsprogramm. Die Firma bildete durch die intensiver betriebene Konzertagentur einen Mittelpunkt des kulturellen Lebens der Stadt. Besondere kommunale Bedeutung gewann H. auch als führender Wegbereiter des Jugend-, Mädchen-, Militär- und Vereinsturnens in Magdeburg. Schon 1822 in der nach Jahnschem Vorbild hergerichteten privaten Turnanlage im Garten seines Elternhauses spielend und turnend, nahm H. seit 1828 an den Übungen auf dem städtischen Gymnastikplatz Karl Friedrich Kochs teil und wurde dort bereits Vorturner. Nach seiner Rückkehr nach Magdeburg 1839 setzte er sich besonders für die Wiedereröffnung des Turnplatzes im Friedrich-Wilhelms-Garten ein. Als im April 1842 das organisierte Turnen unter städtischer Regie wieder aufgenommen wurde, betätigte er sich als Zugführer und Vorturner. Im Interesse des Turnwesens unternahm H. Reisen zu den Turnführern Deutschlands, u. a. zu Friedrich Ludwig Jahn, Karl Euler und Hans Ferdinand Maßmann. Dadurch gelangte in den 1840er Jahren die zweite Magdeburger Turnanstalt zu hohem Ansehen und übte einen fördernden Einfluß auf die Entwicklung des Turnens in Deutschland aus. Auch Jahn besuchte sie wiederholt und turnte selbst mit. Seit Mitte 1842 war in den Abendstunden unter H.s Leitung auch ein Männerturnen eingerichtet. Ein Jahr später erteilte er den Militärs der Magdeburger Garnison Turnunterricht, bis er für diese und für die Schüler der staatlichen Gymnasien 1845 im Auftrag des Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen den königlichen Turnplatz vor dem Ulrichstor einrichtete. Mehr als 16 Jahre zog er zusammen mit den Schülern des Klostergymnasiums vor das Ulrichstor, um mit ihnen gemeinsam zu turnen. H. gilt auch als Begründer des Magdeburger Mädchenturnens. So setzte er sich dafür ein, daß bereits 1845 regelmäßige Turnübungen für die weibliche Jugend auf einem Platz innerhalb der Festungsanlagen (am Krökentor) aufgenommen wurden. Selbst in der Berliner Pfuhlschen Schwimmanstalt zum Fahrtenschwimmer ausgebildet, begründete er in Magdeburg das organisierte Schlittschuhlaufen und Schwimmen für Mädchen. H. gehörte sowohl am 07.05.1848 zu den Mitbegründern des Männerturnvereins 1848 (M. T. V.), s. auch Carl Kretschmann und Karl Quaritsch, als auch zu den Mitgliedern des “Großen Turnrats” der Stadt. Er engagierte sich für die “Volksbewaffnung” und hatte 1848 zeitweilig das Amt eines Hauptmanns der Magdeburger Bürgerwehr inne. Bei der Gründung der Freiwilligen Turner-Feuerwehr 1867 leistete er seinen Mitbürgern Dienste, indem er eine Zeit lang als Hauptmann an die Spitze trat. Als Vereinsturner besuchte er zahlreiche Turnfeste, betätigte sich als Wett-Turner und Preisrichter. Seit 1891 Ehrenmitglied des Magdeburger Lehrerturnvereins, wurde der hochbetagte H. 1898 zur 50jährigen Jubelfeier des M. T. V. für seine hervorragenden Verdienste zum Ehrenmitglied auch dieses Vereins ernannt.
Werke: Turnbüchlein für Mädchen oder Leitfaden bei den gymnastischen Uebungen der weiblichen Jugend, 1846.
Literatur: BioJb 6, 1901; MGG 6, Sp. 77f.; Christian Kohlrausch, Das Turnen in Magdeburg. Ein historischer Abriß der Entwicklung der Leibesübungen in Magdeburg, 1892, 22–32; Oskar Berger, Zur Entwicklung des Turnens in Magdeburg. Fs. zum 50. Stiftungsfeste des Männer-Turnvereins zu Magdeburg, 1898, 17, 27f., 30, 62, 89; Christian Kohlrausch, T. v. H., Ein Lebensbild, in: Deutsche Turn-Zeitung, Nr. 18, 1901, 347–350 (B); Georg Müller (Hg.), Der Sächsisch-Thüringische Buchhändler-Verband 1883–1933, 1933, 86; H. 1797–1937, 1937; Richard Schaal (Hg.), Musiktitel aus fünf Jahrhunderten. Sonderdruck zum 175jährigen Bestehen des Hauses Heinrichshofen 1797–1972, 1972; Tobias Widmaier: Der deutsche Musikalienleihhandel, 1998, 107, 140, 157, u.ö.
Guido Heinrich/Michael Thomas
letzte Änderung: 02.02.2005