Kohlrausch, Christian
Georg |
Der Sohn eines Bauern und Kaufmanns ging nach Abschluß seiner Schulbildung 1868–71 auf das Seminar in Halberstadt, um Volksschullehrer zu werden. Er arbeitete zunächst in Osterwieck, wechselte aber noch 1871 an das Halberstädter Domgymnasium, wo er eine Vorschule einrichtete, an der er bis Ostern 1880 als erster Lehrer wirkte. Zugleich erteilte er Ende der 1870er Jahre Turnunterricht am Gymnasium. Im Winter 1878/79 besuchte K. die Turnlehrer-Bildungsanstalt in Berlin und richtete nach seiner Rückkehr 1879 Turnspiele und englische Jugendspiele für Gymnasiasten an den schulfreien Nachmittagen ein. 1880 wurde er an das Pädagogium zum Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg berufen, wo er 33 Jahre lang seinen beruflichen Lebensmittelpunkt hatte. Neben anderem Unterricht erteilte er den gesamten Turnunterricht und entfaltete überhaupt eine mannigfache Tätigkeit zur Reformierung des Schulturnens. Er verbesserte sofort das Schulturnen, indem er seine Halberstädter Turn- und Sportspiele sowie volkstümliche Übungen erfolgreich einführte. Auf der Grundlage langjähriger Studien (bis 1882) popularisierte er in Deutschland das antike Diskuswerfen, das er zusammen mit seinen Schülern experimentell modernisierte. Als zweites Ergebnis seiner Antikestudien entwickelte er einen “griechischen Fünfkampf” inklusive Diskuswerfen, den er aus erzieherischen Gründen als einen Schülerwettkampf im Rahmen der Schuljahresfeste organisierte. K. war der eigentliche Begründer der Spielbewegung in Magdeburg, die seit den 1870er Jahren das stark formalisierte schulische und außerschulische Turnen durch Bewegungsspiele und Leibesübungen im Freien reformieren wollte. Pädagogen, Ärzte, Kommunal- und Staatsbeamte sowie Offiziere gründeten dazu 1891 den Zentralausschuß zur Förderung der Volks- und Jugendspiele (bis 1923), der durch Werbung, Aufklärung und finanzielle Unterstützung “Leibesübungen in freier Luft” in Schulen und Vereinen ermöglichte. Bereits 1882 verwies das preußische Kultusministerium im sogenannten “von Goßler’schen Spielerlaß” auf K.s publizistische Tätigkeit. Aber erst 1891/92 konnte er zusammen mit Oskar Berger, Carl Dankworth, dem Stadtschulrat Emil Platen und dem Oberbürgermeister Friedrich Bötticher die Spielbewegung in der Stadt zum entscheidenden Durchbruch führen. K. wandte vor allem dem Mädchenturnen seine volle Aufmerksamkeit zu. Seit 1882/84 hielt er Kurse zur Ausbildung von Turnlehrerinnen ab und seit 1906 auch für Schwimmlehrerinnen. Von 1891 bis 1907 war er Mitglied der staatlichen Prüfungskommission für Turnlehrerinnen bzw. seit 1906 für Schwimmlehrerinnen in Magdeburg. Zusammen mit seinen Kollegen im Turnlehrer- Verein, den er 1885 gegründet hatte, hielt er von 1893 bis 1902 Spielkurse zur Weiterbildung von Lehrern und Lehrerinnen ab. Für das Magdeburger Mädchenturnen forderte er 1908 einen verbindlichen Normallehrplan, in dem auch die Jugendspiele verankert werden sollten. 1891 regte er die Gründung des Turnlehrer-Vereins der Provinz Sachsen an, den er bis 1901 als Vorstandsvorsitzender leitete. Seitdem vertrat er als Ehrenmitglied den Provinzialverband beim Deutschen Turnlehrerverein, den er 1893/94 mitgegründet hatte. Dieser tagte auf seine Anregung hin und auf Einladung des Lehrerturnvereins vom 03.-06.06.1900 in Magdeburg. Außerdem war K. Vorsitzender der Gartenkommission im Verein für Kinderspielgärten, im Männerbund zur Wahrung und Pflege für öffentliche Sittlichkeit und im 1892 gegründeten Volksspielausschuß. Er war die Persönlichkeit des Magdeburger Schulturnens zur Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs, die auch das umfangreichste gedruckte Schrifttum hinterlassen hat. 1913 pensioniert, engagierte er sich nach dem I. Weltkrieg für die Volksbildung in Magdeburg. So fungierte er 1919 als Herausgeber des Volkshochschulblattes Mitteilungen und Literaturblatt der Lehrer und Hörer der Volkshochschule.
Werke: Der Diskus. Anleitung zur Einführung des Diskuswerfens auf unseren Turn- und Spielplätzen für alle Turner, besonders für Turnlehrer und -schüler höherer Unterrichtsanstalten, 1882; Das Turnen in Magdeburg. Ein historischer Abriß der Entwicklung der Leibesübungen in Magdeburg, 1892; Deutsches Turnen. Vorträge und Lehrpläne, 1908.
Literatur: Wer ist’s 10, 1935; Carl Euler (Hg.), Encyklopädisches Hdb. des gesamten Turnwesens und der verwandten Gebiete, Bd. 1, 1894, 670f.; Michael Thomas, C. K., Turnlehrer, Pionier der Spielbewegung und des Turnlehrerverbandes der Provinz Sachsen, in: Matthias Puhle (Hg.), Zwischen Kanzel und Katheder, 1998, 93–100 (B).
Bildquelle: *Sammlung Michael Thomas, Magdeburg (privat).
Michael Thomas
letzte Änderung: 09.02.2005