Gerlach, Ernst Ludwig
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Seine Mutter, die aus dem Hause von Raumer stammte, und noch mehr sein Vater, seit 1796 märkischer Kammerpräsident und seit 1811 Oberbürgermeister von Berlin, haben bei G. schon sehr früh das ausgeprägte adlige Standesbewußtsein und die ihn zeitlebens prägende strenge protestantische Frömmigkeit geformt. 1811–13 studierte G. in Berlin, Göttingen und Heidelberg Rechtswissenschaften, wobei ihm die historische Rechtsschule Friedrich Carl von Savignys Leitlinie war. Aufgrund seiner aristokratisch-nationalen Gesinnung nahm er als Freiwilliger am antinapoleonischen Befreiungskrieg teil, in dem er dreimal verwundet wurde. Die Resultate des Wiener Kongresses lehnte G. ab, weil diese ihm zu sehr an angestammten aristokratischen Traditionen rüttelten. Als G. 1823 Oberlandesgerichtsrat in Naumburg, 1829 Direktor des Landes- und Stadtgerichtes Halle und 1834 Vizepräsident des Oberlandesgerichts in Frankfurt/Oder wurde, war bei ihm ein sehr strenger Konservatismus – geprägt vor allem von den monarchischen Staatsrechtslehren Karl Ludwig von Hallers sowie Friedrich Julius Stahls – bereits tief verwurzelt. Erschüttert von der französischen Julirevolution 1830 und deren Auswirkungen auf Deutschland stürzte sich G. in die Politik und wurde in kürzester Zeit einer der bekanntesten konservativen Wortführer mit Einfluß, der bis zum Kronprinzen von Preußen reichte, welcher G. nach dem Thronwechsel 1840 als Oberjustizrat in das Justizministerium berief. Zugleich wurde G. Mitglied des Staatsrates. Er hatte also direkten Zugang zur politischen Machtzentrale in Preußen, als er 1844 zum Präsidenten des Oberlandesgerichts in Magdeburg berufen wurde, wo er sich zusammen mit seinem Bruder Otto und dem Konsistorialpräsidenten Karl Friedrich Göschel besonders der liberalen Oppositionsbewegung der “Lichtfreunde” um Leberecht Uhlich, Friedrich Pax und Ludwig Philippson entgegenstellte. Der Ausbruch der Revolution von 1848/49 war für G. eine Tragödie, auch deshalb, weil der König Friedrich Wilhelm IV. zunächst dem Druck der Revolution nachgab, wogegen G. leidenschaftlich forderte, sofort mit Waffengewalt vorzugehen. Seine starre ultrakonservative Haltung – er lehnte die oktroyierte Verfassung vom 05.12.1848 ebenso wie den Radowitzschen Unionsplan rigoros ab – trübte schließlich das Verhältnis zum König, so daß die allgemein erwartete Berufung zum preußischen Justizminister 1849 ausblieb, obwohl G. als einer der eifrigsten Drahtzieher des Staatsstreiches vom Herbst 1848 und als unermüdlicher Autor der Kreuzzeitung, der Keimzelle der konservativen Partei in Preußen, in Erscheinung getreten war. So blieb G. als glühender und gefürchteter Vertreter der äußersten Rechten, die in der Reaktionszeit mit dem “Revolutionsschutt” – sein Hauptziel war vor allem die Säuberung des Richterstandes – “aufräumten”, in Magdeburg. Er verlor seinen politischen Einfluß in Berlin als Deputierter der Zweiten Kammer des preußischen Parlaments und aufgrund seiner vielen politischen Verbindungen – vor allem über seinen Bruder Leopold – in der Reaktionszeit jedoch nicht. Dies änderte sich erst mit dem Eintritt in die sogenannte “Neue Ära” und noch mehr, als Otto von Bismarck, zu dessen politischen Ziehvätern G. ursprünglich gehörte, seine flexiblere konservative Realpolitik durchzusetzen begann. So gehörte G. von 1858 bis 1873 keiner parlamentarischen Vertretung mehr an und stand immer öfter im Widerspruch zu Bismarcks Politik der “Revolution von oben”, was schließlich im offenen Bruch mit dem Ministerpräsidenten gipfelte, als dieser den “Bruderkrieg” (G. wörtlich) anzettelte und mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 bzw. des Deutschen Reiches 1871 aus G.s Sicht offenen Verrat an der Sache des preußischen Konservatismus beging. Aus diesem Grunde wechselte G., als er 1873 wieder ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt wurde, von den Konservativen zur klerikalen Zentrumspartei (ohne ihr anzugehören), lieferte sich in der ihm eigenen Verbissenheit noch harte Kämpfe mit Bismarck und dessen Kultusminister Albert Falk – vor allem wegen deren Kirchengesetzgebung sowie dem Zivilehegesetz – und wurde schließlich im September 1874 aus dem Staatsdienst entlassen. Er starb als Vertreter der äußersten Rechten, der dogmatisch an seinen Ideen und Idealen bis zu seinem Lebensende festhielt, an den Folgen eines schweren Unfalls.
Werke: Vierteljährliche Rundschauen, in: Neue Preußische Zeitung (8 Bde), 1848–56; Die Annexion und der Norddeutsche Bund, 1866; Die Freiheits-Tendenzen unserer Zeit, 1869; König und Bundesreform. Der Congreß in Paris, 1870; Deutschland um Neujahr 1870, 1870; Fünf Reden des Appellationsgerichts-Präsidenten über die Kirchengesetze. Gehalten im Abgeordneten Hause Winter und Frühjahr 1873, 1873; Jacob v. G. (Hg.), E. L. v. G., Aufzeichnung aus seinem Leben und Wirken 1795–1877 (2 Bde), 1903.
Literatur: ADB 9, 9–14; NDB 6, 296–299; BBKL 19, Sp. 537-550; Mitteldt Leb 5, 275–298 (*B); Jürgen Engelmann, E. L. v.G., in: Mathias Tullner (Hg.), Persönlichkeiten der Geschichte Sachsen-Anhalts, 1998, 171–175 (B).
Jürgen Engelmann
letzte Änderung: 28.09.2004