Philippson, Ludwig, Dr. phil.
geb. 28.12.1811 Dessau,
gest. 29.12.1889 Bonn,
Rabbiner, Schriftsteller, Publizist.

P., Sohn des früh verstorbenen jüdischen Reformpädagogen Moses P., besuchte zunächst die Franzschule in Dessau. Seinem älteren Bruder Phoebus P., der sich um die Ausbildung des jungen P. kümmerte, folgte er im Alter von 14 Jahren nach Halle, wo er das Gymnasium besuchte und 1829 die Abiturprüfung ablegte. Im selben Jahr zog er nach Berlin, um sich dem Universitätsstudium zu widmen. Zu seinen akademischen Lehrern zählte neben Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Carl von Savigny vor allem August Boeckh, der P. nachhaltig beeinflußte. Nach der Promotion in Jena wurde P. 1833 als Lehrer und Prediger der jüdischen Gemeinde Magdeburg berufen. Als dort 1839 der alte Rabbiner M. Salomon starb, wurde P. als sein Nachfolger eingesetzt. P. wirkte insgesamt 29 Jahre als Seelsorger der Magdeburger Juden, bis ihn 1862 ein Augenleiden zu dem Entschluß brachte, sein Amt niederzulegen und nach Bonn zu übersiedeln, wo er sich als Privatmann aber weiter seinen literarischen und publizistischen Interessen widmete. P. gehörte einer neuen, akademisch gebildeten Rabbinergeneration an und trat als Seelsorger der Magdeburger Juden für eine gemäßigte Reform der religiösen Institutionen ein. Schon kurz nach seinem Amtsantritt errichtete er eine Religionsschule, die den zeitgenössischen pädagogischen Maßstäben gerecht zu werden suchte. P. warb für eine modernisierte Gestaltung des Gottesdienstes, hielt regelmäßige sabbatliche Predigten in deutscher Sprache und befürwortete den Erwerb einer Orgel für den 1851 vollendeten Neubau der Gemeindesynagoge. Einen wesentlichen Teil seiner Arbeitszeit widmete P. jüdischen Belangen, die in einem überregionalen Kontext standen. P. war ein außerordentlich produktiver Schriftsteller, der sich den verschiedensten Gebieten jüdischer Tradition zuwandte, zahlreiche Schriften zur Theologie und Religionsgeschichte veröffentlichte und die gesamte hebräische Bibel übersetzte. Ohne sich zu den großen jüdischen Gelehrten seiner Zeit zählen zu können, besaß er doch die Fähigkeit populärer Darstellung, die ihm half, ein größeres Lesepublikum anzusprechen. Mit mäßigem Erfolg versuchte sich P. auch als Dichter, Romanautor und Verfasser von Theaterstücken. P. initiierte 1854 das Institut zur Förderung der Israelitischen Literatur und gründete 1862 die Israelitische Bibelanstalt. Seine erste Zeitschrift, das Israelitische Schul- und Predigtmagazin, kam von 1834 bis 1836 heraus und widmete sich vorwiegend Fragen der Erziehung. Seit 1853 redigierte P. das Jüdische Volksblatt, das bis 1866 erschien. Als erfolgreichstes Periodikum entwickelte sich die 1837 begründete Allgemeine Zeitung des Judenthums (AZJ), die P. bis zu seinem Tode redigierte und die lange Jahre als einflußreichste deutsch-jüdische Zeitschrift galt. P., der zudem ungewöhnliches organisatorisches Geschick besaß, wußte die AZJ zu nutzen, um für die gemeinschaftlichen politischen Interessen der deutschen Juden einzutreten, aber auch, um überregional für eine Reform des Judentums zu werben. Seine frühen Bemühungen für die Errichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät sah P. erst 1872 verwirklicht, als die Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums eröffnet wurde, deren Kuratorium er angehörte. P. gehörte auch zu den Initiatoren der von 1844 bis 1846 stattfindenden Konferenzen deutscher Reformrabbiner, die wesentliche Fragen der Kultusreform auf ihre Tagesordnung setzten. P.s Engagement auf diesem Gebiet provozierte immer wieder den heftigen Protest der Orthodoxie, die ihm vorwarf, auf die Zerstörung der jüdischen Tradition hinzuarbeiten. Selbst konservative Kritiker mußten aber anerkennen, daß sich P. als politischer Kämpfer gegen die rechtliche Zurücksetzung der preußischen Juden verdient machte. So gelang ihm in Fragen der staatsbürgerlichen Rechte mehrfach, eine große Zahl von jüdischen Gemeinden für Petitionen zu mobilisieren, um gegen drohende Benachteiligungen zu protestieren oder für die staatsbürgerliche Gleichstellung einzutreten. Als jüdischer Bürger stand P. der sich ab 1841 in und um Magdeburg unter  Leberecht Uhlich formierenden religiös-rationalistischen Bewegung der “Protestantischen Freunde” bzw. “Lichtfreunde” nahe und gehörte im unmittelbaren Vormärz und in der Revolution von 1848/49 zum Kern des demokratisch-aktionistischen Flügels um Friedrich Pax und Heinrich Ernst Sachse innerhalb der antifeudalen Oppositionsbewegung in Magdeburg. P. war Mitglied des Vereins zur Wahrung der Volksrechte und in den Märztagen 1848 einer der führenden Köpfe des Revolutionsgeschehens in Magdeburg.

Werke: Die Entwicklung der religiösen Idee im Judenthume, Christenthume und Islam, 1847; Die israelitische Bibel mit deutschem Kommentar, 1839–1854; Die israelitische Religionslehre (3 Bde), 1860–65; Gesammelte Abh. (2 Bde), 1911.

Nachlaß: Leo Baeck Institute, New York.

Literatur: ADB 53, 56f.; NDB 20, 397f.; Chayim David Lippe, Bibliographisches Lexicon der gesammten jüdischen Literatur der Gegenwart und und Adressanzeiger, 1881, 362-365 (W); Meyer Kayserling, L. P. Eine Biographie, 1898 (B); Martin P., L. P., in: Jb. für jüdische Geschichte und Literatur 14, 1911, 84–108; Johanna P., L. P. und die Allgemeine Zeitung des Judentums, in: Hans Liebeschütz/Arnold Paucker (Hg.), Das Judentum in der deutschen Umwelt, 1977, 243–291; Hans Otto Horch, “Auf der Zinne der Zeit”. L. P. (1811–1889) – der ‚Journalist’ des Reformjudentums, in: Bulletin des Leo Baeck Institute 86, 1990, 5–21; Norton D. Shargel, L. P. The Rabbi as Journalist, Diss. New York, 1990; Karl Gutzmer (Hg.), Die P.s in Bonn, 1991 (B).

Bildquelle: *Archiv Geographische Institute der Universität Bonn.

Andreas Brämer