Philippson, Martin
Emanuel, Prof. Dr. phil. |
P. war der älteste Sohn des Rabbiners und Publizisten Ludwig P. Er wuchs in Magdeburg und Bonn auf, studierte ab 1863 u. a. bei Heinrich von Sybel, Leopold von Ranke und Gustav Droysen Geschichte in Bonn und Berlin und beschloß 1866 sein Studium mit einer Promotion über die “Geschichte Heinrichs des Löwen”. 1867/68 widmete er sich in Paris Archivstudien zur Geschichte des 17. Jahrhunderts und schrieb als Korrespondent für deutsche Zeitungen.1869 legte er das Oberlehrerexamen in Bonn ab und unterrichtete 1869–70 an der Knabenschule und Lehrerbildungsanstalt der jüdischen Gemeinde in Berlin. Nach der Teilnahme als Freiwilliger am deutsch-französischen Krieg habilitierte er sich 1871 in Bonn für neuere Geschichte, wurde 1875 zum außerordentlichen Professor ernannt, und obwohl ihn zwei Universitäten für ein Ordinariat vorschlugen, lehnte die Kultusbehörde ab, da ein Jude als ordentlicher Professor für Deutsche Geschichte inoffiziell nicht erwünscht war. Schließlich nahm er 1879 einen Ruf als Professor an die Universität Brüssel an. Dort gehörte er der belgischen Zentralkommission der Juden an und wurde 1886 Mitglied der Belgischen Akademie der Wissenschaften 1890 zum Rektor der Universität Brüssel gewählt, legte er noch im selben Jahr aufgrund von Auseinandersetzungen mit Studenten das Amt nieder und ging 1891 nach Berlin, um dort privat seine wissenschaftlichen Arbeiten fortzusetzen. 1892/93 gründete er den Verband der Vereine für jüdische Geschichte und Literatur, in dem er später Ehrenvorsitzender wurde und in deren Jahrbuch er seit 1898 den Jahresrückblick verfaßte. 1896 wurde er Mitglied im Kuratorium der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Während seiner Amtszeit als Vorsitzender des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes (1896–1912) erweiterte er dessen Aufgabenbereich kontinuierlich: Bezirksrabbinate, Provinzial- und Handwerksverbände wurden gegründet und soziale Einrichtungen, wie die Zentralstelle für Wanderarmenfürsorge oder ein Heim für geistig behinderte Kinder, geschaffen. Herausragend war die Einrichtung des Selbsthilfeprojektes für jüdische Arbeitslose und Hausierer – die Arbeiterkolonie Weißensee. U. a. wurde P. 1902 Vorsitzender der von ihm gegründeten Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, engagierte sich ab 1904 im Vorstand des von ihm gegründeten Verbands der deutschen Juden und richtete 1906 das Gesamtarchiv der deutschen Juden ein, für dessen Etablierung er sich jahrelang eingesetzt hatte. Im hohen Alter wurde er Mitglied des 1843 gegründeten Ordens B’nai B’rith. P.s wissenschaftliche Publikationstätigkeit zeichnete sich durch eine große Spannweite aus: befaßte er sich zunächst vornehmlich mit mittelalterlichen Themen, wandte er sich später den großen Wandlungen in Westeuropa und der preußischen Geschichte zu. Einige seiner Arbeiten, u. a. seine dreibändige “Neueste Geschichte des jüdischen Volkes” (1907–1911) haben von zeitgenössischen Historikern heftige Kritik erfahren.
Werke: Geschichte des preußischen Staatswesens von dem Tode Friedrich des Großen bis zu den Freiheitskriegen (2 Bde) 1880–82; Les Origines du Catholicisme moderne, la Contre-Révolution religieuse au XVIe siècle, 1884; Geschichte der neueren Zeit (3 Bde), 1886–89; Friedrich III. als Kronprinz und Kaiser, 1893, 21908; Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (3 Bde), 1897–1903.
Literatur: NDB 20, 398f.; Johanna P., The P.s. A German-Jewish Family 1775–1933, in: Year-Book Leo Baeck Institute 7, 1962, 95–118; François Stockmans, P. (M.-E.), in: Biographie Nationale, publiée par l’ Académie Royale des Sciences, des Lettres et des beaux-arts de Belgique, supplément Bd. 13, 1980, 639–648 (W); Ingrid Schmidt, M. P. in Berlin, in: Karl Gutzmer (Hg.), Die P.s in Bonn. Deutsch-jüdische Schicksalslinien 1862–1980, 1991, 103–116 (B); Hans Böhm/Astrid Mehmel (Hg.), Alfred P., Wie ich zum Geographen wurde. Aufgezeichnet im Konzentrationslager Theresienstadt zwischen 1942 und 1945, 1996, 22000 (B).
Bildquelle: Archiv Geographische Institute der Universität Bonn.
Astrid Mehmel