Carnot, Lazare Hippolyte Marguérite (Graf seit 1815)
geb. 13.05.1753 Nolay/Bourgogne (Frankreich),
gest. 02.08.1823 Magdeburg,
Ingenieur, Divisionsgeneral, Mathematiker.

C., Sohn eines Amtmanns, studierte Festungsbau an der École militaire de Mézières und schloß 1793 als “ingénieur ordinaire” ab. Als Anhänger der Ideen Rousseaus und Diderots setzte er sich frühzeitig für die Ziele der Revolution ein, so in seiner von der Akademie zu Dijon 1786 preisgekrönten Schrift über Vauban. Im August 1791 wurde C. Mitglied des Konvents, stimmte im Januar 1793 für den Tod Ludwigs XVI., was ihn zum “Königsmörder” stempelte. Im August 1793 wählte ihn der Konvent als “citoyen stratège” in den Wohlfahrtsausschuß, in dem er vor allem als Organisator der Revolutionsheere hervortrat. Nach dem Sturz Robespierres am 9. Thermidor (27.07.1794) wurde C. Mitglied des Direktoriums, geriet zwischen die Fronten, floh im September 1797 über die Schweiz nach Augsburg und hielt sich vorübergehend auch in Magdeburg auf. Der Staatsstreich Napoleon Bonapartes ermöglichte ihm im Januar 1800 die Rückkehr nach Frankreich. Er war dann für fünf Monate Kriegsminister, wurde Tribun und votierte gegen die Krönung Napoleons zum Kaiser. Mit wachsender Besorgnis verfolgte C. dessen Eroberungsfeldzüge. Sympathie empfand er für den Befreiungskrieg der Preußen. Im Januar 1814, als das “Vaterland in Gefahr” war, stellte er sich Napoleon zur Verfügung und wurde zum Divisionsgeneral und Gouverneur der Festung Antwerpen ernannt. Der Sieg der verbündeten Mächte führte zur Verbannung Napoleons und zur Restauration des Königtums. Napoleon kehrte im März 1815 von Elba nach Frankreich zurück. Wieder Kaiser, ernannte er C. zum Grafen und Innenminister. Nach der Niederlage Napoleons bei Waterloo gehörte C. für kurze Zeit der provisorischen Regierung an. In einer Ordonnance des wieder eingesetzten Ludwig XVIII. als “rückfälliger Königsmörder” angeklagt, floh er zunächst nach Warschau, nahm aber bald ein Angebot an, in Preußen seinem militärischen Rang entsprechend beschäftigt zu werden. Obgleich dieser Plan des Kanzlers Hardenberg und des Kriegsministers Boyen scheiterte, blieb C. in Preußen und wählte Magdeburg zum Wohnsitz. Hier wirkte er als Berater bei der Gestaltung der preußischen Festungen, unterstütze auch die Magdeburger Schulreformer um Karl Zerrenner und nahm bedeutenden Einfluß auf das gesellschaftliche Leben der Region. Er war befreundet mit der Familie Gruson und dem Konsistorialrat Georg Samuel Albert Mellin. In Magdeburg besuchten ihn der Philosoph Hegel, der für ihn Bewunderung empfand, und Fürst Hardenberg. C. pflegte zahlreiche wissenschaftliche Kontakte, so mit dem Kanzler der Universität Halle August Hermann Niemeyer, dem Hallenser Mathematiker Johann Friedrich Pfaff und dem Leipziger Historiker Ernst Wilhelm Wachsmuth. 1820 scheiterte ein letzter Versuch, gleich anderen Verbannten wieder in die Heimat zurückzukehren. C. leistete auf mehreren Gebieten Beachtliches. Er war der Organisator der Revolutionsarmeen und maßgeblich an der Entwicklung ihrer Strategie und Taktik beteiligt. Er entwickelte neue Ideen über die Befestigung, die von den preußischen Reformern, insbesondere Scharnhorst, aufgegriffen wurden und zu der vor allem unter dem General Ernst Ludwig von Aster geschaffenen “neupreußischen Befestigung” führten. C. war einer der Begründer der Technischen Mechanik und formulierte den Satz über den unelastischen Stoß. In der Geometrie fand er den “Transversalensatz” und entwickelte Gedanken, die die Verbindung von Geometrie und Mechanik förderten und zur Projektiven Geometrie führten. Nicht unterschätzt werden darf seine Förderung neuer Erfindungen durch Gutachten als Mitglied der ersten Klasse des Institut de France. Als aufrechter Republikaner, der den Ideen der Revolution treu geblieben war, genoß er auch in Magdeburg großes Ansehen. Seine Anwesenheit “blieb im Magdeburgischen nicht ganz ohne Wirkung” (Varnhagen von Ense). Aus Anlaß der Überführung der Leiche C.s in das Pantheon in Paris betonte Oberbürgermeister Friedrich Bötticher am 2. August 1889: “Für uns wird die Erinnerung an diesen großen Mann, dem wir trotz seiner Bescheidenheit eine Bereicherung des Ansehens unserer Stadt verdanken, auf immer lebendig bleiben.”

Werke: Essai sur les machines en général, 1783, 21786; Réflexions sur la métaphysique du calcul infinitésimal, 1797; Géométrie de position à l’usage de ceux qui se destinent à mesurer les terrains, 1803; De la Défense des places fortes, 1810, 21811.

Literatur: Wilhelm Körte, Das Leben L. H. M. C.s, 1820; Hippolyte C., Mémoires sur L. C. (2 Bde), 1861–1863; Reinhard Marcel, Le Grand C. (2 Bde), 1950–1952; Jean Paul Charnay (Hg., Einleitung), L. C., Révolution et mathématique (2 Bde), 1985 (W); Ernst-Joachim Gießmann, L. C.s Weg nach Preußen oder ein Exulant in der beginnenden Krise der Regierung Hardenberg, in: Jb. für Geschichte, Bd. 34, 1986, 7–38; ders., L. C. in Magdeburg, in: Magdeburger Blätter 1987, 38–50 (B); Jean G. Dhombres, L. C., 1997.

Bildquelle: *Gleimhaus Halberstadt.

Ernst-Joachim Gießmann