Uffrecht, Jakob
geb. 24.12.1817 Ulm,
gest. 19.01.1892 Neuhaldensleben,
Kunsthandwerker, Unternehmer.

U. stammte aus ärmsten Verhältnissen, begann sein Arbeitsleben als Siebenjähriger in einer Tabakfabrik und konnte nur stundenweise die Armenschule besuchen. Ab 1829 absolvierte er eine Lehre als Dreher in einer Ulmer Porzellanfabrik und nahm darüber hinaus Zeichenunterricht. Durch Fleiß und künstlerisches Talent wurde er Modelleur, mußte sich aber nach Eingehen der Fabrik seines Lehrherren 1833 auf Wanderschaft begeben. Zum Ende des Jahres fand U. Anstellung in der Porzellanfabrik von Johann Gottlob Nathusius in Althaldensleben. Im Oktober 1843 siedelte U. nach Buckau bei Magdeburg über und trat in die dortige Porzellanfabrik ein. Bereits im Mai 1845 gründete er mit zwei Kollegen aus der Buckauer Fabrik und zwei weiteren Gesellschaftern in Althaldensleben eine eigene kleine Tonwarenfabrik, die unter Jakob Uffrecht & Co. firmierte. Die erste Siderolithfabrik neben dem Nathusiusschen Unternehmen begann nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten erst ab Anfang der 1850er Jahre zu prosperieren. 1855 schied U. aus dem Unternehmen aus und gründete unter gleichem Namen in Neuhaldensleben eine neue, zu großer Ausdehnung gelangte Fabrik. Das Unternehmen stellte vorwiegend figürliche Zierkeramik aus Siderolith her, die sich bald einen international hervorragenden Ruf verschaffte. Schon seit Ende der 1830er Jahre hatte U. besonderen Wert auf die Entwicklung eigener Modelle gelegt und war späterhin wesentlich am Zustandekommen von Musterschutzgesetzen für diese Branche beteiligt. Er zog begabte Künstler nach Neuhaldensleben, von denen sich später einige in der Stadt selbständig machten (Anton Möller). Seit Anfang der 1860er Jahre war auch sein Sohn Rudolf U. als Modelleur im väterlichen Geschäft tätig, dessen Arbeiten auf Kunstgewerbeausstellungen mehrfach Preise erhielten. Die Firma ging um 1880 nach dem Vorbild Friedrich Schmelzers zur Herstellung von Steingut-Gebrauchsgeschirr von besonderer Härte, dem sogenannten “Steinzeug”, über. 1884 wurde das Unternehmen um eine neuerrichtete Steingutfabrik erweitert und beschäftigte 1895 durchschnittlich 140 Arbeiter. Neben seiner beruflichen Tätigkeit wirkte U. langjährig als Stadtverordneter und Stadtverordnetenvorsteher und gründete neben einer vom Magistrat angeordneten betrieblichen Kranken- und Unterstützungskasse (1858) auch eine Betriebssparkasse für die Arbeiter seiner Fabrik. Zudem förderte er den Bau von preiswerten Betriebswohnungen. 1872 stellte er Kapitalien zur Gründung eines örtlichen Konsumvereins zur Verfügung und gehörte zu den Förderern des Eisenbahnbaus in Neuhaldensleben. Bei seinem Eintritt in den Ruhestand 1886 konnte er seinen Söhnen Heinrich, Hermann und Jacob U. ein international renommiertes Unternehmen übergeben. Auch nach seinem Rückzug aus dem Berufsleben modellierte und malte der kunsthandwerklich überaus interessierte U. unermüdlich weiter. Durch U. wurde die Tradition der keramischen Industrie in Neuhaldensleben begründet, die Jahrzehnte ein Haupterwerbszweig der Stadt war, noch heute besteht und zu der Bezeichnung “Haldensleben – Stadt der Keramik” führte.

Literatur: N. N., Nachruf J. U., in: Pallas. Zs. des Kunstgewerbevereins zu Magdeburg 13, 1892, 8f.; A. Wenkebach, Persönlichkeiten aus alter Zeit – J. U., in: Aus alter Zeit Nr. 8, 1929; Sieglinde Bandoly, Vom mittelalterlichen Töpferhandwerk zum volkseigenen Großbetrieb. Ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung der keramischen Industrie in Haldensleben, in: Js. des Kreismuseums Haldensleben 2, 1961, 19–43; Karl Schlimme, Das Haus im Schatten, in: Js. des Kreismuseums Haldensleben 29, 1989, 53–70; Friedrich Wilhelm Dörge, J. U. (1817-1892). Der Lebensbericht eines Arbeiter-Unternehmers in Mitteldeutschland, in: Zs. für Unternehmensgeschichte 36, 1991, H. 7 156-178; Sieglinde Bandoly, “Nur selten war ich bis zum Tode betrübt …”. Brief J. U.s aus dem Jahre 1891 an seinen Jugendfreund Georg Gagstätter in Ulm, in: Js. der Museen des Ohrekreises 2, 1995, 41–49; Sieglinde Bandoly, "Siderolith- und Steingutfabrik" J. U. & Co., Neuhaldensleben, zur Geschichte und Entwicklung im 19./20. Jahrhundert, in: Js. der Museen des Ohrekreises 9 (42), 2002, 71-90 (B) .

Bildquelle: *Museum Haldensleben.

Sieglinde Bandoly