Nathusius, Johann Gottlob |
Der Sohn eines Steuereinnehmers zählte zu den herausragendsten und risikofreudigsten Unternehmern des frühen 19. Jahrhunderts. Nach einer entbehrungsreichen Kindheit konnte er aus finanziellen Gründen nicht studieren, sondern mußte ab 1774 in die kaufmännische Lehre zu einem Berliner Materialwarenhändler gehen. Als Autodidakt eignete er sich in der Freizeit volkswirtschaftliches Wissen an und las Bücher der englischen Nationalökonomen, u. a. das Werk von Adam Smith “Über den Nationalreichtum”. 1780 schloß N. die Lehre erfolgreich ab und wurde Handlungsdiener. Vier Jahre später stellte ihn der Kaufmann Sengewald in seinem Magdeburger Handelshaus als Buchhalter an, das N. nach dem Tod des Inhabers 1785 gemeinsam mit einem Teilhaber (Johann Wilhelm Richter) übernahm und unter der Firma Richter-Nathusius weiterführte. Große Bedeutung für die Entwicklung des Unternehmens hatte der 1786 nach dem Tod Friedrich II. erfolgte Thronwechsel in Preußen. Als der neue König Friedrich Wilhelm II. das staatliche Tabaksmonopol aufhob, regte N. seinen Partner zur Gründung einer Tabakfabrik an, die Mitte 1787 bereits 60 Arbeiter beschäftigte und wirtschaftlich sehr erfolgreich war. Mit Sachkenntnis und unternehmerischem Risiko bemühte sich N. um die Konsolidierung des Betriebes. Als beispielsweise 1792 in Hamburg eine große Ladung Tabak, der angeblich durch Nässe verdorben war, keinen Abnehmer fand, griff N. zu und erwarb den gesamten Posten für einen sehr geringen Preis. Nach Trocknung und chemischer Behandlung war der Rohstoff voll verwendungsfähig. Mit dem aus dem Verkauf dieses Tabaks erzielten Erlös stand das Unternehmen auf gesicherten finanziellen Füßen, so daß es fast allein die gesamte Monarchie mit Schnupftabak versorgte. Nach einer kurzzeitigen Unterbrechung – in Preußen war die staatliche Tabakregie wieder eingeführt und N. zum Generaldirektor der königlichen Fabriken ernannt worden – nahm um die Jahrhundertwende die Fabrikation seines eigenen Unternehmens in Magdeburg einen großen Aufschwung. 1801 hatte N. 300 Beschäftigte und war reichster Bürger Magdeburgs. Der allgemein anerkannte Unternehmer hatte auch ein Gespür für andere zukunftsträchtige Wirtschaftszweige. Ihm ist es nachweislich zu verdanken, daß seit Anfang des 19. Jahrhunderts im Magdeburger Raum die Zichorie angebaut wurde (die gedarrte Zichorie war die Grundlage für ein beliebtes Kaffeegetränk im 19. Jahrhundert). Die Besetzung Magdeburgs durch napoleonische Truppen und die Eingliederung des Herzogtums Magdeburg in das Königreich Westfalen machten es für den erfolgreichen Fabrikbesitzer und Wirtschaftsfachmann unumgänglich, sich den gesellschaftlichen Erfordernissen zu stellen und Aufgaben in der politischen Repräsentation zu übernehmen. So vertrat er das Elbedepartement im Reichstag, der in der westfälischen Hauptstadt Kassel tagte. Da ihn die politischen Aufgaben nun oft an Kassel banden, mietete er dort bei der Familie Engelhard eine Wohnung. Eine Tochter der Engelhards wurde 1809 seine Frau. Mit dem Jahre 1810 begann die fruchtbarste und bedeutsamste Periode seine Lebens. Er kaufte das in der Nähe von Magdeburg gelegene säkularisierte Kloster Althaldensleben und ein Jahr später das Barockschloß Hundisburg, das er im Sommer 1812 zum Wohnsitz wählte. Mit dem Kauf dieser Güter gelang es ihm, den Anbau landwirtschaftlicher Produkte und deren verfeinerte Verarbeitung zu verbinden. So betrieb er eine Nudelfabrik, eine Brennerei, eine Stärkefabrik, eine Obstwein- und Essigfabrik und war ein Pionier der jungen Rübenzuckerindustrie. Er betrieb von 1813 an eine Rübenzuckerfabrik, die er aber 1816 wegen fehlender Rentabilität aufgeben mußte. Gleichzeitig begann er die auf seinen Besitzungen lagernden Bodenschätze aufzuschließen und zu verarbeiten. Mit dem Abbau von Gips und Ton, der Einrichtung einer Ziegelei und Töpferei und mit der Anlage des Steinbruchs entstanden neue Erwerbszweige. Aus der ursprünglichen kleinen Töpferei entwickelte sich nach 1815 in Althaldensleben eine Steingutfabrik, die später sogar Porzellan herzustellen begann. Damit legte N. den Grundstein für die Keramischen Werke. Den von ihm begründeten Unternehmenskomplex kann man wegen seiner engen organisatorischen Verknüpfung als ersten gemischten Konzern in Deutschland im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung bezeichnen. Neben der Leitung der Fabriken beschäftigte sich N. sehr intensiv mit der Gartengestaltung. Bereits in Magdeburg hatte er auf dem Werder einen Garten und Gewächshäuser anlegen lassen. Zwischen Althaldensleben und Hundisburg entstand ein großer englischer Garten, mit dem sich N. ebenso ein bleibendes Denkmal setzte wie mit der Doppelkirche in Althaldensleben. Seine Unternehmungen erlangten internationale Bekanntheit. Literarischen Anklang fanden sie u. a. bei Goethe in “Wilhelm Meister”, bei Clemens Brentano in “Kommanditchen” und bei Carl Immermann in “Die Epigonen”. Der nach dem Ende der Napoleonära in Preußen einsetzenden politischen Entwicklung stand er sehr aufgeschlossen gegenüber. Enttäuscht von der Nichteinhaltung des königlichen Verfassungsversprechens setzte er sich als Abgeordneter des provinzialsächsischen Landtages für politische und wirtschaftlich Reformen ein. Im Kontakt mit Gleichgesinnten machte er Front gegen die Konsolidierung der alten Macht, hoffte auf Erfolge der bürgerlichen Opposition. Mit großer Anteilnahme verfolgte er den Freiheitskampf der Griechen, und er erwartete von der französischen Julirevolution 1830 Auswirkungen auf Preußen. Neuerwerbungen in Königsborn und Meyendorf erweiterten seinen Besitz. Nach mehreren Krankheiten verstarb N. im Jahre 1835 und wurde in dem von ihm angelegten englischen Garten beigesetzt.
Literatur: NDB 18, 748f.; ADB 23, 271–276; Neuer Nekr 13, 1837, 609–626; Mitteldt Leb 2, 60–81 (B); Elsbeth von N., J. G. N. Ein Pionier deutscher Industrie, 1915 (B); K. Ulrich, Zur Geschichte der Zuckerfabrik Althaldensleben, 1926.
Bildquelle: *Museum Haldensleben.
Roswitha Willenius
geändert: 09.06.2004