Winter, August Franz |
Der älteste Sohn des Erb- und Lehnsrichters W. in Stolzenhain besuchte das Gymnasium in Wittenberg und studierte seit 1853 in Halle evangelische Theologie und Philologie. 1856 bestand W. die theologischen Prüfungen, absolvierte wenig später das Lehrexamen, trat im August 1856 in das Pädagogium des Klosters Unser Lieben Frauen in Magdeburg ein und wurde Mitglied des dort soeben gegründeten “Candidaten-Convicts”. 1857 wurde W. als zweiter wissenschaftlicher Hilfslehrer angestellt und rückte kurz darauf in die erste Hilfslehrerstelle auf. 1862 wurde W. in das Diakonat nach Schönebeck versetzt, wo er als Schulinspektor u. a. hervorragenden Anteil an der Begründung der Realschule (1875) hatte. Der Konvent erteilte ihm 1875 die Stelle eines Pastors in Altenweddingen, die er bis zu seinem frühen Tode einnahm. W., der unverheiratet blieb, unternahm mehrere große Forschungsreisen durch Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich, Dänemark, Schweden und Norwegen, wo er Archive und Bibliotheken aufsuchte sowie Kunst und Baudenkmäler besichtigte. Bereits als Lehrer befaßte sich W. mit historisch-archäologischen Forschungen und beschäftigte sich eingehend mit der Geschichte des Magdeburger Landes. In Schönebeck setzte er seine Studien fort und machte sich bald durch bedeutende Publikationen einen Namen. Seinem ersten, 1865 erschienenen, hoch geachteten Werk über die Prämonstratenser folgte 1868–71 eine Untersuchung über die Zisterzienser (s.u.). Beachtung fanden die in der Zeitschrift Forschungen zur Deutschen Geschichte seit 1870 erschienenen Beiträge über den Codex Viennensis, Erzbischof Wichmann und Eike von Repkow (s.u.). Im Winter 1865 trat W. mit Friedrich Wiggert, George Adalbert von Mülverstedt, Carl Janicke, Friedrich Wilhelm Hoffmann, Christian Ludwig Brandt und Eduard Jacobs (Wernigerode) u. a. zur Gründung des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde des Herzogtums und Erzstifts Magdeburg zusammen, der seit 1866 eine eigene Zeitschrift, die Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg, herausgab. Dazu lieferte W., der als Sekretär des Vereins fungierte, als einer der eifrigsten Mitarbeiter bis 1879 ca. 90 eigene Beiträge, die Literaturbesprechungen und Vereinsberichte von seiner Hand nicht geachtet. Sein vielseitiges Wissen, eine gründliche Kenntnis der Quellen und eine außerordentliche Arbeitskraft machten es ihm möglich, fundierte wissenschaftliche Studien zu treiben und eine umfassende literarische Tätigkeit zu entwickeln, ohne seine Amtspflichten zu vernachlässigen. Die Kenntnis der Geschichte der Klöster und Stifte im Erzbistum Magdeburg hat W. durch eine Reihe von Abhandlungen, als auch durch Mitteilung bisher noch unbekannten Quellenmaterials gefördert und diese vorwiegend in der Zeitschrift des Magdeburger Vereins, in der Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde und in den Neuen Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen publiziert. W. entdeckte und publizierte interessantes Material zur Rechts- und Verfassungsgeschichte von Städten der Magdeburger Region und war lange Zeit das einzige Mitglied des Vereins, welches sich mit Sprach- und Dialektforschungen und der Sammlung von Volksliedern beschäftigte (erst später wurde eine eigene Sektion für niedersächsische Sprache gegründet). Hervorzuheben ist, daß W. an entlegener Stelle ein erstes volkskundliches Forschungsprogramm “Die Volkssitte und die Schule” veröffentlichte (s. u.) und darin in modern anmutender Weise Grundsätze und Ziele volkskundlicher Erhebungen und Forschungen behandelte. Als einer der ersten hat W. die Kenntnis der mittelalterlichen Baudenkmäler durch Publikationen über Kirchen des Magdeburger Landes gefördert und darin Pionierarbeit geleistet. Seine Aufmerksamkeit galt nicht minder archäologischen Fundstoffen, die W. in mehreren Arbeiten erörterte. Auch die 1876 erfolgte Gründung der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und Anhalt ist vor allem durch W. angeregt. Deren Statuten basieren im wesentlichen auf einem von W. im November 1876 vorgelegten Gutachten. Folgerichtig war W. der Vertreter des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde des Herzogtums und Erzstifts Magdeburg in dieser Kommission.
Werke: Die Prämonstratenser des 12. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland, 1865 (Repr. 1966); Die Cistercienser des nordöstlichen Deutschlands bis zum Auftreten der Bettelorden (3 Bde), 1868–71; Der Codex Viennensis auf der Wernigeröder Bibliothek, ein Magdeburger Formelbuch des 12. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 10, 1870, 642–648; Aus der Franzosenzeit. Bilder aus der Vergangenheit Schönebecks, 1871; Anbau und Wachstum der Stadt Schönebeck, 1872; Zur Geschichte des Wendenkreuzzuges im Jahre 1177, in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 12, 1872, 625–630; Erzbischof Wichmann von Magdeburg, in: ebd. 13, 1874, 111f.; Die Volkssitte und die Schule, in: Schulblatt für die Provinz Brandenburg 39, H. 9/10, 1874, 403–433; Eike von Repkow und der Sachsenspiegel, Forschungen zur Deutschen Geschichte 14, 1875, 305ff.; Die Grafschaften im Schwabengau, Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte 1a, 1877, 79f.
Literatur: Ottomar Müller, Pastor A. F. W. in Altenweddingen, in: GeschBll 14, 1879, 488–496; Otto Heinemann, Systematisches Inhaltsverzeichnis zu den Jgg. 1–50 der GeschBll, 1917, 45–49 (W); Franz Huschenbett, Literarisches Leben, in: Heimatbuch des Kreises Wanzleben, 1928, 150; Paul Krull, Zur Geschichtsschreibung über die Stadt Schönebeck, in: Heimatglocken des Kreises Calbe 5, 1929, 71.
Heinz Nowak