Dorguth, Friedrich Andreas Ludwig
geb. 01.12.1776 Magdeburg,
gest. 10.10.1854 Magdeburg,
Jurist, Geheimer Justizrat, Philosoph.

D. entstammte einer Juristenfamilie. Sein Vater Ludwig D. ist zwischen 1794 und 1806 als Kriminalrat und Provinzialrichter in Magdeburg nachweisbar. Da Belege fehlen, läßt sich D.s frühe Beamtenlaufbahn bisher nur rückwirkend entschlüsseln. Ein Gutachten von 1835 zeigt aber, daß er bereits 1797 in den Staatsdienst eintrat. Für einen in der Literatur behaupteten Aufenthalt in Warschau 1805 fehlen die Belege, und eine dortige Bekanntschaft mit seinem Richterkollegen E. T. A. Hoffmann scheint bloß spekulativ. 1809 heiratete er in Magdeburg, seine Frau starb jedoch schon 1813. Nachdem er 1817 als Justizrat an das gerade gegründete Oberlandesgericht in Magdeburg berufen worden war, ging er 1819 seine zweite Ehe ein, der drei Töchter entstammten. 1836 wurde er zum Geheimen Justiz- und Oberlandesgerichts-Rat ernannt und trat erst 1847 in den Ruhestand. In seiner Amtszeit wurden am Oberlandesgericht in Magdeburg u. a. die späteren Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung Friedrich Leue, Friedrich Ludwig von Rönne, August Heinrich Simon und Carl Maximilian Grüel ausgebildet. Auch Carl Immermann legte 1819 unter D. sein zweites Staatsexamen ab. Spätestens seit 1832 nahm D. regelmäßig mit mehr als 50 z. T. Positionen des 20. Jahrhunderts antizipierenden Aufsätzen an wissenschaftlichen Diskussionen in juristischen Zeitschriften teil. D. scheint schon früher publiziert zu haben, denn eine bereits 1809 in Magdeburg erschienene, mit “Tribunals-Richter D.” unterzeichnete Schrift “Über die Geschäfte des Friedensrichters”, stammt wohl von ihm. Neben seiner beruflichen Tätigkeit trat D. mit philosophischen Schriften hervor, die er meist separat im Verlag von Wilhelm von Heinrichshofen in Magdeburg veröffentlichte. 1837 erschien sein philosophisches Grundwerk “Kritik des Idealismus und Materialien zur Grundlage des apodiktischen Realrationalismus”, mit dem er sich gegen Hegels “Idealdialektik” wendete, 1838 durch “Nachträge und Erläuterungen” ergänzt. Ludwig Feuerbach rezensierte es in den Hallischen Jahrbüchern. Ein nachfolgender Briefwechsel, in dem D. seine Position ausführlich erläuterte, führte Feuerbach zur genaueren Bestimmung seiner eigenen philosophischen Position; D.s Theorien lehnte er ab. Die Schriften D.s sind vor allem mit der Philosophie Arthur Schopenhauers verbunden, mit dem er schon seit 1836 in Briefkontakt stand. D. ist der erste und neben Julius Frauenstädt bis 1854 der einzige, der öffentlich für Schopenhauer eintrat und damit den Grundstein für eine Schopenhauerrezeption überhaupt legte. Von ihm stammt die berühmte Bezeichnung Schopenhauers als “Kaspar Hauser der Philosophie-Professoren”. D. widmete ihm mehrere Sendschriften, die wichtigste 1845 “Schopenhauer in seiner Wahrheit”, welche u. a. vom späteren Paulskirchenabgeordneten Maximilian Grävell zustimmend rezensiert wurde. 1843 ließ D. seine Kritik an Karl Rosenkranz “Die falsche Wurzel des Idealrealismus” erscheinen, die diesen seine Schopenhauerlektüre wieder aufnehmen ließ. Zwei weitere Sendschreiben richtete D. 1848 und 1849 an Alexander von Humboldt, welche auch diesem Schopenhauer nahebrachten. Ebenso konnte er einige juristische Kollegen (z. B. Max Voigtel) und Ärzte (z. B. Friedrich Grävell) von der Bedeutung Schopenhauers überzeugen. Schopenhauer selbst hat D. mit einer gewissen Geringschätzung betrachtet, weil dieser ihm zu eigenständig dachte und seine Wirkung zu gering war. Seine rechtsphilosophischen Forderungen sah D. im sächsischen Strafgesetzbuch von 1838 zum großen Teil bestätigt. Nicht erfüllt hat sich hingegen seine ausführlich begründete Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe, die er im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen nicht aufgrund von deren Wirkungslosigkeit forderte, sondern aus prinzipiellen Erwägungen, wie sie 1848 auch in den Diskussionen der Nationalversammlung teilweise vertreten wurden. Seiner Zeit weit voraus, trat er auch gegen die absolute lebenslängliche Freiheitsstrafe an.

Werke: Populäre, practische Entwickelung der abstracten Begriffe, welche die positive Strafgesetzgebung interessieren, 1837; Die juristische Dialektik, 1841.

Literatur: Ludwig Schemann, Schopenhauer-Briefe, 1893, 475–478; Rudolf Borch, Schopenhauer und D., in: Jb. der Schopenhauergesellschaft 2, 1913, 3–8 (W); Paul Deussen, Arthur Schopenhauers sämtliche Werke, Bde 14–16 (Briefwechsel), 1929–42; Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bde 8, 17 und 19, 1984ff. (W); Karl Rosenkranz, Briefe 1827–1850, 1994; Thomas Miller, F. D. (in Vorbereitung).

Thomas Miller

geändert: 09.06.2004