Bailleu, Paul J. H., Dr. phil. |
B.s Vorfahren gehörten der Wallonisch-reformierten Gemeinde an, die Ende des 17. Jahrhunderts von Mannheim nach Magdeburg eingewandert war. Durch ein Hüftgelenkleiden stark beeinträchtigt, besuchte der Sohn eines Handschuhmachers zunächst die Volksschule. 1860-70 absolvierte B. mit glänzendem Erfolg das Gymnasium des Klosters Unser Lieben Frauen in Magdeburg, unter dessen Rektor Wilhelm Herbst er eine besondere Vorliebe für die neuere Geschichte entwickelte. Mit der Absicht, einen Lehrberuf zu ergreifen, studierte B. ab 1870 zunächst Philologie an der Universität in Göttingen, wechselte ein Jahr später nach Berlin und wandte sich hier dem Studium der Geschichte zu. Anfangs beeinflußt durch Karl Wilhelm Nitzsch, Theodor Mommsen und Gustav Droysen, war B. ab August 1873 als Sekretär Leopold von Rankes tätig und beteiligte sich bis 1876 intensiv an der Vorbereitung mehrerer seiner Werke. 1874 promovierte B. über ein altphilologisches Thema. Er entschied sich für eine Laufbahn im preußischen Archivdienst, und wurde auf Empfehlung Rankes Mitte 1876 als Aspirant und wenig später als Hilfsarbeiter am Geheimen Staatsarchiv in Berlin angenommen. Bis zu seiner Pensionierung 1921 blieb B. dieser Institution treu und verdankte ihr eine bedeutende Karriere. 1880 wurde er Archivsekretär, 1884 Geheimer Staatsarchivar, 1890 avancierte er zum Archivrat, 1900 zum Geheimen Archivrat und folgte schließlich 1906 Konrad Sattler im Amt des zweiten Direktors des Geheimen Staatsarchivs. Bei der in den 1870er Jahren unter Archivdirektor Heinrich von Sybel begonnenen Neuordnung der Aktenbestände des Archivs erwarb sich B. besondere Verdienste um die seinerzeit umstrittene Einführung und Durchsetzung des Provenienz-Prinzips. Er selbst legte für wichtige Aktengruppen Repertorien an, deren Systematik auch auf die bessere Zugänglichkeit der Bestände für die wissenschaftliche Forschung zugeschnitten war. Über diesen Wirkungskreis hinaus genoß B. den Ruf eines Gelehrten, in dessen Werken sich musterhafte Gründlichkeit der Forschung, breitestes Quellenstudium und innovative Denkansätze mit einer formvollendeten Stilistik verbanden. Seinem Lehrmeister Ranke folgend und gefördert durch den Herausgeber der Deutschen Rundschau, Julius Rodenberg, fand B. in der preußischen Geschichte des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts sein eigentliches Arbeits- und Forschungsfeld, das er stets – in entschiedener Opposition zur kursierenden kleindeutschen Geschichtsbetrachtung – im gesamteuropäischen Kontext reflektierte. Diesem Anliegen sind mehrere groß angelegte Quellenveröffentlichungen und stark beachtete Monographien zum preußischen Herrscherhaus verpflichtet, unter denen die 1913 mit dem Verdun-Preis ausgezeichnete Biographie „Königin Luise. Ein Lebensbild“ (1908, 21923, Repr. 1998) besonders hervorzuheben ist. B. betätigte sich zudem intensiv in verschiedenen historischen Vereinen. So war er, stets in leitenden Funktionen, am Auf- und Ausbau des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg und der Berliner historischen Gesellschaft beteiligt.
Werke: Quomodo Appianus in bellorum civilium libris II-V usus sit Asinii Pollionis historiis, Diss. Göttingen 1874; Die Memoiren Metternichs, in: Historische Zs. 44, 1880, 227-277; Talleyrands Briefwechsel mit Ludwig XVIII. während des Wiener Congresses, 1881; Preußen und Frankreich von 1795 bis 1807. Diplomatische Correspondenzen (2 Bde), 1881-87; Wilhelm Anton von Klewiz, in: ADB 16, 1882, 180f.; Fritz Reuters Universitäts- und Festungszeit, in: Deutsche Rundschau 11, H. 9, 1885, 385-401; Clemens Menzel Lothar Fürst von Metternich, in: ADB 23, 1886, 777-802; Karl August, Goethe und der Fürstenbund, in: Historische Zs. 73, 1894, 14-32; Der preußische Hof im Jahre 1798, 1897; Briefwechsel König Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise mit Kaiser Alexander I., 1900; Das Provenienzprinzip und dessen Anwendung im Berliner Geheimen Staatsarchive, in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine 50, 1902, 193-195; Aus dem Literarischen Nachlaß der Kaiserin Augusta (2 Bde), 21912; Melle Klinkenborg (Hg.): Preußischer Wille. Gesammelte Aufsätze von P. B., 1924.
Nachlaß: Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem.
Literatur: NDB 1, 545; DBJ 4, 3-10; Leesch 2, 44f.; Melle Klinkenborg, P. B., in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 70, 1922, Sp. 67-75; Eugen Meyer, Übersicht über die Schriften von P. B., in: ebd. 70, 1922, Sp. 75-78; Friedrich Meinecke, [Nachruf auf P. B.], in: Historische Zs. 127, 1923, 373f.
Bildquellen: Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem; *Melle Klinkenborg (Hg.): Preußischer Wille. Gesammelte Aufsätze von P. B., 1924 (Frontispiz).
Guido Heinrich
letzte Änderung: 02.09.04