Spieß, Ernst Eduard |
S. besuchte das Gymnasium in Darmstadt und war 1865–67 Schüler der Basler Gewerbeschule. Danach begann er eine Handwerkslehre als Former, Gießer und Monteur in den Eisenwerken von François de Wendel in Hayange (Frankreich) und arbeitete 1869–70 als Feinmechaniker in den Werkstätten der Sternwarte Paris. S. erwarb sich am Mathematischen Institut in Solothurn ein umfangreiches praktisches Wissen zur Vorbereitung für sein Studium an der Ingenieurabteilung des Eidgenössischen Polytechnikums in Zürich, das er 1875 erfolgreich mit einem Diplom als Bauingenieur abschloß. Anschließend nahm er eine Tätigkeit als Architekt und Bauingenieur bei der Schweizer Nord-Ost-Bahngesellschaft auf und führte Aufträge für Bahnprojekte der Städte Zürich und Basel aus. 1881–83 arbeitete er zur Vervollkommnung seiner Kenntnisse in Kalifornien bei der Northern Pacific Eisenbahngesellschaft und projektierte verschiedene Bahnhofsbauten (z. B. in Portland/Oregon). Eine schwere Erkrankung der Mutter zwang ihn zur Rückkehr nach Europa. 1885 nahm S. in München ein kurzzeitiges Kunst- und kunsthistorisches Studium auf, wandte sich aber zunehmend dem Kunstgewerbe zu und bereiste im selben Jahr Deutschland. Aus dieser Zeit sind Skizzenbücher mit historischen Bauten, Architekturdetails und Grundrissen bekannt, die auch seine künstlerischen Fähigkeiten und präzise Beobachtungsgabe zeigen. Nach Weiterbildungskursen an der Berliner Handwerkerschule erhielt S. 1886 eine Anstellung als Lehrkraft für Bauhandwerker an der Zeichen- und Kunstgewerbeschule Kassel, wurde von dort aus 1887 zum Direktor der reformierten Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Magdeburg berufen und führte dieses Amt bis 1892. Neben seiner Funktion als Direktor erteilte er Unterricht im Fach- und Geometrischen Zeichnen. Dem als “Organisationstalent” bekannten S. gelang es, hervorragende Lehrkräfte zu verpflichten, das Lehrprogramm zu reformieren und bei sprunghaft steigenden Schülerzahlen – 1891 wurden bereits ca. 1.500 Schülerinnen und Schüler unterrichtet – die Aufrechterhaltung des Unterrichts durch Erschließung neuer Unterrichtslokale zu sichern. Die Schule gewann unter seiner Leitung schnell an Bedeutung. S. führte mehrfach Auseinandersetzungen um den Etat der Schule und um die Höhe des Schulgeldes mit dem Ministerium in Berlin und dem Regierungs-Präsidenten in Magdeburg. Als der Direktor der Basler Allgemeinen Gewerbeschule Wilhelm Bubeck bei einem Zugunglück ums Leben kam, wurde S. für diese Stelle ausgewählt und Ende 1891 zu seinen Bedingungen von der Stadt Basel zum Direktor der Allgemeinen Gewerbeschule und des Gewerbemuseums berufen. Die Geschäfte in Magdeburg wurden kommissarisch bis zur Amtseinführung von Ferdinand Moser von dem mit S. befreundeten Adolf Rettelbusch geführt. In Basel gehörte S. zudem der Kommission für das Historische Museum Basel an. Er erwarb sich auch in Basel den Ruf eines durchsetzungsfähigen und erfolgreichen Direktors, der durch seine vielseitigen Begabungen und organisatorischen Fähigkeiten dieser Schule zu hohem Ansehen verhalf. S. gründete mit Rettelbusch, dem Bildhauer Carl Wegner und Baupolizeikommissar G. Rosenberg zum Jahreswechsel 1888/89 die Brocken-Silvester-Gemeinde.
Literatur: Jahresberichte der Allgemeinen Gewerbeschule Basel für die Schuljahre 1891/92–1912/13; National-Zeitung Basel vom 20.10.1912; dies. vom 22.10.1912; Baseler Anzeiger vom 23.10.1912; Gewerbemuseum Basel 1878–1978. Hundert Jahre Wandel und Fortschritt, 1978 (B); Inventar der neuen Schweizer Architektur, Bd. 6, 1991; Norbert Eisold, Die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg 1793–1983, Kat. Magdeburg 1993, 17ff.; Universitätsbibliothek Basel: Nachlaß der Familie S., G 66.
Archivalien: Geheimes StA Berlin: Abt. I, HA, Rep. 120, E. X, Fach 2, Nr. 7, Bd. 4.
Bildquelle: *Gerd Kley, Berlin (privat).
Gerd Kley