Rettelbusch, Johann Adolf,
Prof. |
R., achtes Kind eines Gast- und Landwirtsehepaars, entwickelte bereits in der Dorfschule 1865–73 zeichnerisches Talent. In der Realschule Nordhausen (bis 1878) bereitete man R. auf den Besuch der Großherzoglichen Kunstschule Weimar vor. Rektor Theodor Hagen und Alexander Struys weckten in Weimar R.s Interesse an der Landschaftsmalerei. Finanzielle Gründe zwangen ihn zum Abbruch des Studiums. Er ging nach Berlin und legte auf Drängen der Mutter 1880–81 ein Zeichenlehrerexamen an der Königlichen Akademie der Künste bei Karl Gussow ab. Trotz des hervorragenden Abschlusses erhielt er keine Anstellung und war gezwungen, zwei Jahre mit Zeichenstudien und Gelegenheitsarbeiten im Heimatdorf zu verbringen. 1883 bewarb er sich an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums zu Berlin. Dort erhielt er unter den Professoren Max Koch, Ernst Ewald und Ernst Schaller eine Ausbildung in Landschafts-, Porträt- und Dekorativer Malerei. Zahlreiche Auszeichnungen und ein großzügiges Stipendium sicherten ihm ein unbeschwertes Studium. Neben seinen Landschaftsbildern fiel er durch einprägsame dekorative Entwürfe und Architekturbilder auf. Zum Abschluß wurde er mit einer Studienreise 1886–87 nach Italien ausgezeichnet, auf der er insbesondere die Dekorative Malerei des Landes studierte. R.s italienische Zeichnungen und Aquarelle veranlaßten das Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe, ihm 1887 eine Stelle als Lehrer für Dekorative und Allgemeine Malerei an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg anzutragen. Die Schule wurde zu dieser Zeit mit reformiertem Studienprogramm unter Eduard Spieß neu eröffnet. R. wirkte an dieser Schule als Lehrer und stellvertretender Rektor bis zu seiner Emeritierung 1924. Er trug durch seine künstlerische und kunstpädagogische Arbeit wesentlichen zum guten Ruf der Schule als moderne Bildungsanstalt bei. 1906 wurde R. zum Professor ernannt. Zur Förderung des kulturellen Lebens in Magdeburg gründete R. 1893 den Künstlerverein St. Lukas und leitete ihn über viele Jahre. Er arbeitete lange Zeit im Vorstand des Kunstvereins Magdeburg mit, war 1912 Gründungsmitglied des Künstlervereins Börde und Mitglied der Loge “Ferdinand zur Glückseligkeit”. Um 1913 gestaltete er die Glasfenster im Vereinshaus dieser Loge. R. gelang es, seine pädagogischen Arbeiten mit seinen künstlerischen Ambitionen zu verbinden. Dies wurde schon in seinen ersten Ausstellungen 1888 und 1907 deutlich und durch seine letzte große Ausstellung zu Lebzeiten 1933 Am Roten Horn bestätigt. Von R. und seinen Schülern sind zahlreiche Innenraumgestaltungen in Kirchen (Vogelsdorf, Kammerforst/Thüringen), Gaststätten (Weinhaus Kühne, Magdeburg), Hotels (div. Räume des Brockenhotels), Villen (Dr. Schreiber, Magdeburg), Schlössern (Iden bei Stendal) und Gutshäusern (Gutenswegen) aus Magdeburg und Umgebung bekannt. R. beherrschte als Maler und Lehrer meisterhaft die gesamte Palette der Maltechniken. Im Laufe der Jahrzehnte ist ein Wandel in deren Gebrauch festzustellen. Während er in Jugendjahren Aquarell bevorzugte, wandte er sich um die Jahrhundertwende stärker der Temperamalerei zu. Später begann R. mit der Ölkreidezeichnung. Es entstanden eine Serie von Bildern aus der Landwirtschaft, in der er in den Dörfern um Magdeburg Menschen und Tätigkeiten von der Saat bis zur Ernte treffend charakterisierte. Höhepunkt waren seine eindrucksvollen Ölkreidebilder von einer Nordlandfahrt 1909. R. nutzte Reisen mit Schülern und die Ferien, um in ganz Europa zu malen. Seine erste große Serie in der Pastelltechnik malte er 1914 in den Alpen. Er blieb bis zuletzt dieser Technik treu und entwickelte sie zur Meisterschaft. Um 1925 galt er als der wichtigste Landschaftsmaler Mitteldeutschlands, der insbesondere in der Lage war, mit Pastellfarben die “Stimmungen” einer Landschaft oder einer sich schnell wandelnden Naturerscheinung darzustellen. R.s intensive Beziehungen zum Harz begannen mit einer Brockenbesteigung 1887. Zum Jahreswechsel 1888/98 gründete er gemeinsam mit drei Kollegen aus der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg (Eduard Spieß,Carl Wegner und Baupolizeikommissar Rosenberg) die Brocken- Silvester-Gemeinde. Nach seiner Emeritierung 1924 verbrachte er jährlich viele Wochen in dieser Landschaft. Seine Skizzen, Postkartenentwürfe und Pastelle aus dem Harz sowie die Ausgestaltung des Brockenhotels brachten ihm den Ehrennamen “Brockenmaler” ein. Ein Gedenkstein auf dem Brockengipfel erinnert an sein Wirken. Neben seinen Landschaftsbildern und Porträts waren R.s Pflanzenstudien, Dekorationsentwürfe und Adressen bemerkenswert. Um 1900 entstand seine “Botanik für Dekorationsmaler und Zeichner”, deren stilisierte Pflanzen als Vorbild für die ornamentale Gestaltung von Räumen und Bauten in der Jugendstilzeit landesweit verwendet wurden. R.s Industriebilder aus den Krupp-Gruson-Werken zeigen ein Stück Industriegeschichte, so wie seine Bilder aus dem I. Weltkrieg (Flandern, Lettland, Litauen) heute schon Zeitdokumente sind. R. hinterließ nach seinem Tode etwa 4.000 größere Arbeiten, von denen wesentliche Teile im Kulturhistorischen Museum Magdeburg erhalten sind. Mehrere hundert Werke befinden sich in privater Hand.
Werke: Botanik für Dekorationsmaler und Zeichner, Serie 1; Abt. 1 & 2 mit je 20 Blättern, 1898; (Ill.) Rudolph Schade/Walter Grosse, Der Brocken. Abh. der Geschichte und Natur des Berges, 1926; Aus meinem Leben & Es war einmal – Erinnerungen, in: Heimatland (Bleicherode), 1929/30, 47–58.
Nachlaß: KHM Magdeburg; Gerd Kley, Berlin.
Literatur: Thieme/Becker 28, 190; Jahresberichte der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg 1893ff.; Friedrich Jansa, Deutsche Bildende Künstler in Wort und Bild, 1912, 476; Ernst von Niebelschütz, Die Rettelbusch-Ausstellung, Magdeburg, Rotes Horn, in: Magdeburgische Zeitung vom 06.08.1933; Gerd Kley, A. R. (1858–1934). Ein fast vergessener Maler, in: Magdeburger Blätter, 1986, 47–53 (B); ders., A. R. (1858 bis 1934) – Der Brockenmaler, in: ebd., 1989, 42–51; Norbert Eisold, Die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg (1793–1963), Kat. Magdeburg 1993; Matthias Puhle (Hg.), A. R. Landschaftsbilder. Kat. zur Sonderausstellung 15.12.1998–28.02.1999, Magdeburg 1998.
Archivalien: Bundesarchiv Berlin: Sign. R 4901, PA, Abt. X. Fach R, Nr. 4, E. R 530.
Bildquelle: *Gerd Kley, Berlin (privat).
Gerd Kley
letzte Änderung: 03.03.2005