Wolterstorff, Willy
Georg, Dr. phil. |
W., Sohn des Bürgermeisters von Calbe und späteren Magdeburger Stadtschulrates Wilhelm W., verlor durch eine epidemische Erkrankung 1871 das Gehör, erlernte jedoch unter Anleitung seines Vaters eine normale Stimmbildung und die Fähigkeit, gesprochene Wörter vom Mund abzulesen. Durch Privatunterricht erlangte er ein umfangreiches Wissen, besonders auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Nach einer handwerklichen Ausbildung erwarb er 1883 den Gesellenbrief als Buchbinder, studierte 1884–89 mit ministerieller Sondererlaubnis in Halle bei Karl von Fritsch Geologie und erhielt dort zudem eine Ausbildung zum Konservator. 1889 trat er als Assistent am Mineralogisch-geologischen Institut in Erlangen bei Konrad Oebbeke ein und promovierte hier später (1898) mit einer Arbeit über “Das Untercarbon von Magdeburg-Neustadt und seine Fauna”. 1890 war er Privatassistent des Geologen Baron von Reinach und wurde 1891 zum ersten hauptamtlichen Konservator des 1875 gegründeten Magdeburger Museums für Naturkunde und Vorgeschichte berufen. Ab 1900 war W. hier als Kustos unter August Mertens tätig. Auch nach seiner Pensionierung 1929 arbeitete er freiwillig stundenweise im Museum und legte ab 1941 ein umfangreiches Archiv zu den von ihm zusammengetragenen Sammlungen an. Neben seinen paläontologischen Arbeiten, in denen sich W. mit Spezialthemen wie der wissenschaftlichen Bearbeitung eigener Aufsammlungen von einmaligen Aufschlüssen zum Magdeburger Kulm und Tertiär beschäftigte, galten seine wissenschaftlichen Forschungen zunehmend den niederen Wirbeltieren, besonders der Familie der Salamandridae. Er untersuchte Fragen zur Systematik, Fortpflanzung und zum Verhalten dieser Tiere und etablierte durch seine intensive Beschäftigung mit diesem Gebiet das Magdeburger Museum als ein angesehenes Zentrum der Molchforschung. Das erfolgreiche Wirken W.s und seine internationalen Verbindungen bereicherten insbesondere die von W. geschaffene umfangreiche Präparatensammlung, deren bedeutendster Teil eine Sammlung von Urodelen bildete. 1943 umfaßte die sogenannte “W.-Sammlung” rund 12.000 Gläser (davon 7.160 Urodelen) und war damit eine der weltweit größten Spezialsammlungen dieser Art. Gegen Ende des II. Weltkrieges wurden die zwischenzeitlich international stark beachtete Präparatensammlung und das Archiv völlig zerstört, während seine paläontologischen Aufsammlungen sich gegenwärtig im Museum für Naturkunde Magdeburg befinden. Als hervorragender Kenner der regionalen Fauna war W. ab 1909 auch als Schriftleiter der Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde tätig und gründete 1918 den Salamander, eine Vereinigung von Terrarianern. W., der zu den führenden Herpetologen Deutschlands zählte, publizierte nahezu 300 wissenschaftliche Arbeiten zu paläontologischen und biologischen Themen, war Ehrenmitglied zahlreicher in- und ausländischer Fachgesellschaften und erhielt mehrfach wissenschaftliche und kommunale Ehrungen (u. a. die Otto-von-Guericke-Plakette der Stadt Magdeburg). Auch rezente und ausgestorbene Tiere erhielten W. zu Ehren seinen Namen.
Werke: Über fossile Frösche, insbesondere das Genus Palaeobatrachus (2 Tle), 1886–87; Unsere Kriechthiere und Lurche, 1888; Die Reptilien und Amphibien der Nordwestdeutschen Berglande, 1893; Die Tritonen der Untergattung Euproctus Gené und ihr Gefangenleben, nebst einem Überblick der Urodelen der südwestlichen paläarktischen Region, 1902.
Literatur: Johann C. Poggendorff, Biographisch-Bibliographisches Handwörterbuch, Bd. IV/2, 1904; Günther Freytag, W. W., ein Forscherleben, in: Berichte des Museums für Naturkunde und Vorgeschichte Magdeburg 8, 1948 (B).
Bildquelle: *Museum für Naturkunde und Vorgeschichte, Magdeburg.
Ingrid Böttcher
letzte Änderung: 05.04.2006