Rötger, Gotthilf Sebastian, Dr.
theol. h.c. |
Der Sohn des Sebastian Peter R., Pastor in Klein Germersleben, und der Margarethe Christine R., geb. Müller, Tochter des Rektors der Magdeburger Domschule, erhielt seine erste Schulbildung ab 1756 auf der Stadtschule in Neuhaldensleben. 1765–67 war er Schüler und Alumne des Pädagogiums am Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg. Danach studierte er bis 1770 evangelische Theologie in Halle. Zu seinen Lehrern zählten Johann Georg Knapp, Johann August Nösselt und Johann Salomo Semler. Im Verlauf seines Studiums galt sein Interesse auch der Physik, Mathematik und Kosmologie. Seine Probepredigt hielt er 1769 in Wörbzig bei Köthen, doch schlug er danach nicht die theologische Laufbahn ein. Nach Abschluß des Studiums kehrte R. nach Magdeburg zurück und arbeitete 1770–71 als Hauslehrer. 1771 hielt er eine Probelektion am Pädagogium des Klosters Unser Lieben Frauen in Magdeburg und wurde daraufhin als Lehrer angenommen. 1772 zählte er bereits zu den Mitgliedern des Konvents. 1774 übertrug man ihm die Aufgaben der Prokuratur des Klosters. Ende 1779 wählte ihn der Konvent zum Propst. Zugleich war er in dieser Funktion Mitglied der Landstände, ab 1781 in deren engerem Ausschuß. 1786 wählte man ihn zu einem der Deputierten für die Erarbeitung eines allgemeinen preußischen Gesetzbuches (Landrecht). Zu seinem 25jährigen Jubiläum als Propst übertrug man ihm 1805 mehrere Ämter und Funktionen, wie die Mitgliedschaft im Provinzialschulkollegium, die Direktion der Magdeburger Freitische an der Universität Halle und die Mitgliedschaft in der Generaldirektion des Zwangsarbeitshauses Groß Salze. Darüber hinaus gehörte er der literarischen Mittwochsgesellschaft um Friedrich von Koepcken an. Ein von ihm unterstützter Versuch zur Reform des niederen Schulwesens der Stadt Magdeburg konnte aufgrund des Einmarschs der Franzosen 1806 nicht realisiert werden. Ab 1806 war R. Mitglied des Magdeburger Gemeinderates, fungierte 1807 bis ca. 1813 als Arrondissements-Liquidator im westfälischen Elb-Departement und gehörte dem Reichstag des Königreichs Westfalen in Kassel an. Bereits während dieser Zeit wirkte er an Bestrebungen mit, die durch Kontributionen entstandenen Schulden der westfälischen Departements in eine allgemein Reichsschuld umzuwandeln. R. war ein pädagogischer Praktiker mit außerordentlichen administrativen Fähigkeiten, die die Selbständigkeit des Klosters und seines Pädagogiums auch durch die schwierigen Zeiten der französischen Besetzung hindurch sicherten. Seine zahlreichen verstreuten Aufsätze sind ein Plädoyer für Vernunft, Toleranz und Mitmenschlichkeit. Hervorzuheben ist seine führende Rolle bei der Umgestaltung des Unterrichts und der Erziehung am Pädagogium mit der Einführung von Zensuren, der Einrichtung einer Maschinenkammer, einer Schülerbibliothek und eines Naturalienkabinetts. Auf R. gehen zudem die Klosterbälle (seit 1780) und Kreuzhorstfeste (Exkursionen zu der von R. angeregten forstbotanischen Pflanzung in der zum Kloster gehörigen Kreuzhorst vor den Toren Magdeburgs) zurück. Er gab ab 1793 regelmäßig Jahrbücher des Pädagogiums heraus, die bis heute die wichtigste Quelle für die Geschichte dieser Schule darstellen. In seinen pädagogischen Ansichten stand er der Aufklärung nahe. Seinen anfänglichen Konflikt mit Johann Bernhard Basedow legte er bei, als Basedow längere Zeit in Magdeburg weilte und den Propst mehrfach besuchte. R. war es auch, der sich mit anderen nach Basedows Tod für die Errichtung eines Denkmals zur Erinnerung an diesen bedeutenden Schulreformer einsetzte. Der überaus beliebte und verehrte Pädagoge, der schon zu Lebzeiten den Ehrennamen “Vater R.” trug, hatte großen persönlichen Anteil an der Entwicklung des Pädagogiums des Klosters zu einer weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Bildungseinrichtung. Zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum als Pädagoge fertigte der Berliner Bildhauer Christian Friedrich Tieck 1821 eine Büste R.s aus weißem Marmor. Zur gleichen Zeit entstand ein Gemälde durch Carl Sieg. Die Universität Halle verlieh dem Jubilar den Titel eines theologischen Ehrendoktors. Für seine Verdienste erhielt er kurz vor seinem Tode, auch aufgrund seiner aktiven Mitwirkung am 1825 auf Veranlassung August Wilhelm Franckes gegründeten Bürger-Rettungs-Instituts, die silberne Bürgerkrone der Stadt Magdeburg. Das Archiv der Familie R. befindet sich seit 1997 als Depositum im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg.
Werke: Briefe eines ganz unpartheyischen Kosmopoliten über das Dessauische Philanthropin, 1776; Versuch einer kurz erzählten Magdeburgischen Reformations-Geschichte, 1782; Ausführliche Nachricht von dem Pädagogium am Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg, 1783; Ueber Unterricht, Lehrmethode, Schulpolizey und Charakterbildung, 1791; Billigkeitsgründe für die Vereinigung der Schulden aller Westphälischen Departements zu einer gesammten Reichs-Schuld, 1808; Rückblicke in’s Leben, veranlaßt durch das Jubelfest des Herrn Kanzlers Dr. Niemeyer, 1827; Ein Hundert Sinngedichte, 1828.
Literatur: ADB 29, 303–305; Neuer Nekr 9, 1833, 424–431; Rudolf R., Die Nachkommen des Thilo R., Begleitbuch zur Stammtafel, o. J. [1939]; Karl-Heinz Kärgling, Die verschnürten Gedanken eines Gerechten, in: Matthias Puhle/Renate Hagedorn (Hg.), Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg. Stift – Pädagogium – Museum, 1995, 141–157; ders., …der im stillen gewirkt hat! Das Pädagogium und Propst R. im Königreich Westfalen, in: dies. (Hg.), Zwischen Kanzel und Katheder. Das Magdeburger Liebfrauenkloster vom 17. bis 20. Jahrhundert, Kat., 1998, 61–70; Uwe Förster, Propst R. und seine Zeit, in: ebd., 221–228; Uwe Förster, Unterricht und Erziehung an den Magdeburger Pädagogien zwischen 1775 und 1824, Diss. Magdeburg 1998, 131–142 u.ö.
Bildquelle: *StadtA Magdeburg.
Uwe Förster
letzte Änderung: 03.03.2005