Vincenti, Arthur Reichsritter von, Dr. phil. |
Der Sohn des bayrischen Oberleutnants August Ritter v. V. besuchte das Gymnasium in Bamberg, wurde im ehemaligen bayerischen Kadettenkorps in München erzogen und legte hier 1898 das Abitur ab. V. studierte anschließend deutsche, englische und französische Philologie sowie Rechtswissenschaften in München, Bonn, Berlin und Göttingen. 1904 promovierte er über “Die altenglischen Dialoge von Salomon und Saturn” und legte auch das juristische Referendarexamen ab. Längere Arbeits- und Studienaufenthalte führten ihn nach Paris, Cambridge, London und Oxford, nach Italien, Sizilien und Malta. 1908 trat er seine Bibliothekarslaufbahn als Volontär an der Göttinger Universitätsbibliothek an, ab 1910 war er hier als Assistent tätig. 1911 berief der Magistrat der Stadt Magdeburg V. zum zweiten Bibliothekar an die Magdeburger Stadtbibliothek, der er schließlich von 1913 bis zu seinem Tod als Direktor vorstand. Seinen Dienst begann V. in Magdeburg mit der Erschließung von ca. 8.500 Dissertationen und Sonderabdrucken im Bibliotheksbestand der Ärztebibliothek. Als Direktor erwarb er sich vor allem große Verdienste um den Erhalt und die Erweiterung des Bestandes in politisch bewegten Zeiten. V. regte die Trennung von Stadtbibliothek und Stadtarchiv an, die 1913 unter Oberbürgermeister Hermann Reimarus erfolgte. Damit wurde der bisherige erste Stadtbibliothekar Ernst Neubauer erster hauptamtlicher Stadtarchivar. V. bekam die Leitung und Neuordnung der Bibliothek übertragen. Sein Wirken richtete sich darauf, der Magdeburger Stadtbibliothek die der Provinzialhauptstadt würdige Stellung zu verleihen, die Einrichtung öffentlich bekannter zu machen, alle Wissenschaftsgebiete auszubauen, insbesondere den Bestand an orts- und regionalkundlicher Literatur zu erweitern und alles hierzu Erreichbare zu sammeln. Unter V. erlangte die Magdeburgica-Sammlung überregionale Bedeutung. 1914 veröffentlichte er die Schrift “Magdeburgs Heimatliteratur”. Alle bisher nur deponierten Buchbestände, wie die technische Bibliothek des Magdeburger Bezirksvereins des VDI, die gesamte Ärztebibliothek der Medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg und des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, das Depositum des Architektenvereins, die Lehrerbibliothek, die Buckauer Lehrerbibliothek, die Sammlung des Magdeburger Geschichtsvereins oder der Bücherbestand des Harzklubs, Zweigverein Magdeburg, wurden unter dem Dach der Stadtbibliothek in das Eigentum der Stadt überführt und in einem Zentralkatalog verzeichnet und veröffentlicht. Mit der Anlage einer Sammlung von Literatur, Briefen, Dokumenten und Karten zum I. Weltkrieg konnten wichtige Zeitdokumente zur Magdeburger Stadtgeschichte in den Bestand eingebracht werden. Trotz des Krieges hielt V. den Leihverkehr mit auswärtigen Bibliotheken aufrecht, konnte die Leserschaft halten und den Bestand vergrößern. Er ließ 1914/15 erstmals ein Gesamtzeitschriftenverzeichnis erarbeiten, das 17.000 Nummern umfaßte. Ein Novum stellte die Autographensammlung Magdeburger Schriftsteller, Gelehrter und anderer Persönlichkeiten dar, die 1917/18 angelegt werden konnte. Mit Führungen des Direktors durch die Bibliothek, der Beteiligung an Ausstellungen im Kaiser-Friedrich-Museum und mit Vorträgen über die Schätze der Stadtbibliothek, das Buchwesen und den Aufbau der Magdeburg Bibliothek trat V. erstmalig an die breite Öffentlichkeit heran. Er entwickelte Methoden moderner Öffentlichkeitsarbeit und führte diese, ergänzt um zahlreiche Veröffentlichungen, bis Ende der 1920er Jahre fort. Mehrere Sonderkataloge präsentierten die Spezifika der einzelnen Sammlungen – wie etwa der Magdeburger Katalog für die hiesigen Drucke, der Stadtbibliothekskatalog für die Leserschaft oder die Sammelkataloge über einzelne erfaßte Bibliotheken in Magdeburg. V.s Arbeit ermöglichte einen bisher unerreichten Überblick über die Sammlung gedruckter Werke aller Art und ihrer Aufbewahrungsorte in der Stadt. Dazu gehörten auch Drucksachen des alltäglichen Lebens wie Lebensmittelmarken, Ansichtskarten, Notgeld, Papiergeld, Stadtpläne usw. Darüber hinaus baute V. das Netz der Volksbüchereien aus, die trotz Schließungen, Ausleiheinschränkungen und der Einführung von Leihgebühren in allen Vorstädten anzutreffen waren. Die Zeitumstände nutzend, wuchsen unter V. die öffentlichen Bibliotheken zu bedeutenden Bildungseinrichtungen für alle Schichten heran. Durch die Schenkung wertvoller privater Sammlungen baute der 30 Jahre tätige Stadtbibliothekar die Bibliothek auch zu einer bedeutenden Forschungsstätte aus. V. entwickelte von der Zusammenarbeit mit ansässigen Buchhändlern über die Erwerbung, Erschließung und Katalogisierung des Bestandes bis zur Ausleihe, dem Personal- und dem Haushaltsmanagement eine moderne Bibliothek, die in diesen Grundstrukturen bis heute arbeitet. Er förderte und unterstützte zudem den Druck stadtgeschichtlich interessanter Arbeiten. So erschien 1932 ein Faksimile des ersten Magdeburger Adreßbuches aus dem Jahre 1817 mit einem Vorwort V.s. Der Redakteur, Musikwissenschaftler und Musikkritiker Max Hasse erbat die Aufarbeitung seiner umfangreichen Sammlung zum Magdeburger Buchdruck durch V., den dieser nach Hasses Tod übernahm und z.T. publizierte. Von V. stammte auch die erste umfassende Geschichte der Stadtbibliothek Magdeburg, die 1925 als Festschrift zum 400. Jubiläum der Einrichtung erschien.
Werke: Geschichte der Stadtbibliotheken und Volksbüchereien, in: Erwin Stein (Hg.), Monographien deutschen Städte, Bd. 2, 1912, 35–42; Die Magdeburger Stadtbibliothek vor 100 Jahren, in: MonBl 65, 1913, 137–140; Leitsätze der Vorlesungen des Lehrgangs für Verwalter von Volksbüchereien der Provinz Sachsen in Magdeburg 1917, 1917; Volkstümliche Vorträge (Vorlesungsreihe), gedruckt 1919; Die Organisation der Magdeburger Stadtbibliothek und ihre Zukunftsaufgaben, in: Amtsblatt 1924, Nr. 7; Geschichte der Stadtbibliothek zu Magdeburg 1525–1925. Fs. zum 400jährigen Jubiläum, 1925 (B).
Literatur: Reichshdb 2, 1947 (B); KGL 4, 1931; Wer ist’s 10, 1935; N. N., Nachruf, in: Jb. der deutschen Bibliotheken 32, 1941, 156.
Bildquelle: *StadtA Magdeburg.
Heike Kriewald
letzte Änderung: 28.09.2004