Konitzer, Paul Ignatz, Dr. med.
geb. 01.02.1894 in Preußisch Friedland,
gest. 22.04.1947 Dresden (Suizid im sowjetischen Militärgefängnis),
Arzt, Gesundheitspolitiker, Stadtmedizinalrat.

Nach Abschluß der Gymnasien in Preußischen Stargard und Kulm an der Weichsel studierte K. Jura und Medizin in Berlin und Greifswald, nahm 1914–19 als Sanitätsfeldwebel am I. Weltkrieg teil, promovierte 1920 und erhielt die Approbation. Er arbeitete wissenschaftlich am Hygiene-Institut der Universität Greifswald, war 1921 Bezirksfürsorgearzt in Stollberg/Sachsen und 1921–25 Stadtrat und Stadtmedizinalrat in Dortmund-Hörte. 1926 wurde K. zum leitenden Fürsorgearzt in Magdeburg ernannt, 1928 zum Stadtrat gewählt und zum Stadtmedizinalrat sowie Dezernenten für Wohlfahrtspflege berufen. 1928 trat er in die SPD ein, wurde Mitglied des Reichsbanners Schwarz Rot Gold und des Republikschutzbundes. K. bemühte sich darum, gemeinsam mit den Magdeburger Oberbürgermeistern Hermann Beims und Ernst Reuter sozialdemokratische Grundsätze im Gesundheitswesen der Stadt durchzusetzen. Mit der Anstellung von Schul- und Fürsorgeärzten sowie Schulzahnärzten wurde der Gesundheitszustand der Jugend verbessert. Gute Erfolge wurden auch bei der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Tuberkulose erzielt. Er initiierte 1928 die “Magdeburger Gesundheitswochen” und die damit verbundene Deutsche Hygiene-Ausstellung in Magdeburg. In seiner Amtszeit erfolgte eine grundlegende Modernisierung der Magdeburger Krankenhäuser, u. a. der Bau des Chirurgischen Pavillons und der neuen Hautklinik in Magdeburg-Sudenburg. K. organisierte eine “Gesundheitsdeputation” aus Magistratsmitgliedern, Stadtverordneten und kompetenten Bürgern zu allen Fragen der Gesundheitspflege und Prophylaxe, wie Wohnungs-, Gewerbe- und Unfallhygiene. Zudem förderte er die Einführung von öffentlichen und kostenlosen Beratungsstellen unter spezialärztlicher Leitung in den Krankenhäusern, u. a. Sprachstörungs-, Schwerhörigen-, Alkoholiker-, Sexual- und Eheberatungsstellen. 1929 entwarf er Pläne zur Demokratisierung des Gesundheitswesens im Zuge der Verwaltungsreform in Preußen und im Reichsgebiet. Er war Berater des Deutschen Städtetages. 1933 wurde K. gemeinsam mit Reuter von Nationalsozialisten aus dem Magdeburger Rathaus vertrieben, kurzzeitig in Schutzhaft genommen und jüdischer Abstammung verdächtigt. K. übernahm danach eine ärztliche Allgemeinpraxis in Dresden. Während des II. Weltkrieges war K. zunächst Truppenarzt, danach Oberstabsarzt und leitender Hygieniker des Wehrkreises IV (Dresden), tätig auch in Kriegsgefangenenlagern. 1944 wurde er auf Betreiben des SS- und Polizeiführers Elbe wegen politischer Unzuverlässigkeit amtsenthoben. Im Juni 1945 zum Staatssekretär und Leiter des Gesundheitswesens im Land Sachsen berufen, trat er im gleichen Jahr wieder in die SPD, seit 1946 SED, ein. Seit dem 11.09.1945 war K. Präsident der Zentralverwaltung für Gesundheitswesen (ZVG) der Sowjetischen Besatzungszone (Vorläufer eines Ministeriums). Die Eindämmung des Fleckfiebers trotz Millionen von Flüchtlingen wurde als sein Verdienst angesehen. Er widersetzte sich der Säuberung des Verwaltungsapparates in der Sowjetischen Besatzungszone von Mitarbeitern, die an sozialdemokratischen Grundsätzen festhielten, und wurde konspirativer Verbindungen zu ehemaligen Sozialdemokraten wie Gustav Klingelhöfer und dem LDP-Vorsitzenden Wilhelm Külz verdächtigt. Er plante u. a., den früheren Regierungspräsidenten und Oberbürgermeister von Magdeburg, Otto Baer, nach dessen Maßregelung durch die Sowjetische Militär-Administration Deutschlands (SMAD) zum Leiter der Finanzabteilung der ZVG zu berufen. Auf Betreiben seines Stellvertreters, Prof. Dr. Maxim Zetkin, wurde K. unter dem Vorwurf, als leitender Hygieniker des Wehrkreises IV auch für das Massensterben russischer Kriegsgefangener im Stalag 304, Zeithain, verantwortlich gewesen zu sein, im Auftrag der Sowjetische Militär-Administration Deutschlands (SMAD) am 28.02.1947 vom NKWD  verhaftet und verschleppt. Er galt seitdem als verschollen. Nach Auskunft der Militärhauptstaatsanwaltschaft der Russischen Förderation vom 25.02.2000 beging K. in der Haft Selbstmord.

Werke: Zur Theorie und Praxis der neueren serodiagnostischen Methoden der Syphilis, insbesondere der Meinickeschen Reaktion, der dritten Modifikation nach Meinicke und Sachs-Georgischen Reaktion, Diss. Greifswald 1920; Das Gesundheitswesen der Stadt Magdeburg: nebst Sonderbeiträgen, hg. vom Städtischen Gesundheitsamt Magdeburg, Autor und verantwortlicher Schriftleiter P. K., 1928; Organisation und Aufgaben der Magdeburger Gesundheitsfürsorge, in: Magdeburger General-Anzeiger, Nr. 55 vom 04.03.1928, 1. Beilage (B); Die Aufgaben der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen in der SBZ, in: Das Deutsche Gesundheitswesen, H. 1–2 und 4–6, 1946.

Literatur: Wer war wer DDR, 459f.; N. N., Das Russengrab bei Zeithain, in: Der Spiegel vom 01.03.1947, 4 (*B); Jörg Osterloh, Ein ganz normales Lager. Das Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager 304 (IVH) Zeithain bei Riesa/Sachsen 1941 bis 1945, 1997, 170; Anna-Sabine Ernst, Die beste Prophylaxe ist der Sozialismus. Ärzte und medizinische Hochschul-Lehrer in der SBZ/DDR 1945–1946, 1997, 26 u.ö.

Archivalien: Bundesarchiv Berlin, Ministerium für Gesundheitswesen: DQ1- Nr. 1614.

Gerald Christopeit

letzte Änderung: 09.02.2005