Frost, Erich Hugo |
Der musikalisch talentierte F. begann als 12jähriger am Klavier zu improvisieren und zu komponieren und spielte als Pianist im Kinoorchester. Nach mittlerer Reife, Militärzeit und Kriegsende begann er in Leipzig Hochschulunterricht im Klavierspiel und in Komposition zu nehmen, brach jedoch das Studium ab, um lukrative Engagements und Tourneen anzunehmen. Nach seiner Taufe als Mitglied der “Ernsten Bibelforscher” (Jehovas Zeugen, 1931) am 04.03.1923 arbeitete F. ab 1924 im Leipziger Literaturdepot der Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg (auch Watch Tower, Verlag der Internationalen Bibelforscher- Vereinigung, IBV). Die IBV propagierte urchristliche Lehren, wie Liebe, politische Neutralität, reiner Lebenswandel, Naherwartung des Millenniums Christi, Haus-zu-Haus-Missionierung u. a. Die Religionsgemeinschaft ließ den Kapellmeister und Pianisten als reisenden Prediger (Pilgerbruder) die von Wilhelm Schumann künstlerisch betreute Lichtbild- und Stummfilmschau “Schöpfungsdrama” in Deutschland (1928–1933) und der freien Tschechoslowakei (1934) musikalisch begleiten. Aufgrund des Verbots der Zeugen Jehovas (Sachsen, 18.04.1933) war F. kurzzeitig in Leipzig (1934) und Berlin (1935, Konzentrationslager Columbia-Haus) inhaftiert. Watch Tower Präsident Joseph Franklin Rutherford beauftragte F. 1936 in Luzern (Schweiz) mit der Untergrundtätigkeit in Deutschland, wodurch Paul Balzereit in Magdeburg als Landesleiter endgültig abgelöst wurde. F. organisierte aus dem Untergrund die reichsweite Flugblattaktion vom 12.12.1936 und lieferte dem Schweizer Watch Tower Büro Berichte über Mißhandlungen der verfolgten Mitbrüder, die es 1938, neben anderen Augenzeugenberichten, in dem Buch “Kreuzzug gegen das Christentum” (1938) veröffentlichte. Die Gestapo mißhandelte F. nach der Verhaftung 1937 schwer; seine Haftstationen waren danach u. a. Konzentrationslager Sachsenhausen, SS-Baubrigade, Konzentrationslager Neuengamme und Dora-Nordhausen. Im Konzentrationslager komponierte F. Lieder, wie “Zeugen Jehovas unverzagt!” (Konzentrationslager Sachsenhausen, 1941, heute: “Vorwärts, ihr Zeugen!”) und “Wolkengedunkel” (Alderney, 1943). Nach der Befreiung 1945 blieb F. der legitime Landesleiter der Wachtturm- Gesellschaft in Magdeburg. Bis zum DDR-Verbot der Zeugen Jehovas am 30.08.1950 leitete er das Werk im “Bibelhaus Magdeburg”, Leipziger Straße/Am Fuchsberg, zusammen mit Ernst Seliger, danach in der neuen Druckerei in Wiesbaden. Er trat 1955 aus gesundheitlichen Gründen zurück und schied 1964 als hauptamtlicher Mitarbeiter aus. Als dynamischer Redner trat er auf Massenkongressen der Zeugen Jehovas auf (Nürnberg, 1946, 1953, 1955; Berlin, 1949, 1951; Hamburg, 1961). Während des Kalten Krieges versuchte das Ministerium für Staatssicherheit, F. mit unkritisch interpretierten Gestapo-Verhörprotokollen zu diskreditieren (Der Spiegel, 19.07.1961, 39f.). Die Integrität von F. war unter Jehovas Zeugen während seiner Konzentrationslager-Haft und in Freiheit jedoch stets unbestritten.
Werke: Befreiung von totalitärer Inquisition durch Glauben an Gott, in: Der Wachtturm vom 01.07.1961, 409ff.; Vorwärts, ihr Zeugen!, in: Singt Jehova Loblieder, 1986, Lied 29.
Literatur: Der Wachtturm vom 15.03.1988, 21; Hans Hesse (Hg): “Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas.” Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus, 1998, 312; Waldemar Hirch, Operativer Vorgang “Winter”. “Zersetzungsmaßnahmen” des MfS gegen den Leiter des deutschen Zweiges der Zeugen Jehovas, E. F., verbunden mit einem Mißbrauch westdeutscher Medien, in: Kirchliche Zeitgeschichte. Internationale Halbjahreszs. für Theologie und Geschichtswissenschaften, H. 1, 1999, 225–239.
Bildquelle: *Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas, Wachtturm-Gesellschaft Selters/Taunus.
Johannes Wrobel
letzte Änderung: 19.08.2004