Balzereit, Paul Johannes Gerhard
Ps.: P. B. Gotthilf, 1924; Paul Gehrhard, 1923–33
geb. 02.11.1885 Kiel,
gest. 06.07.1959 Magdeburg,
Schriftsteller, Redakteur, Verlagsdirektor.

Nach der Volksschule erlernte B. den Beruf eines Kaufmannes und arbeitete in dieser Branche, bis er sich den “Ernsten Bibelforschern” (Jehovas Zeugen, 1931) anschloß. Er wurde 1910 Kolporteur der “Ernsten Bibelforscher” und war ab 1913 als Pilgerbruder (reisender Vortragsredner) der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (IBV) und Wachtturm-Gesellschaft (Verlag der Religionsgemeinschaft) tätig. Er leitete 1916/17 das Landesbüro in Barmen und war für die aus dem Englischen übersetzte Zeitschrift Der Wachtturm verantwortlich. 1920–36 diente B. erneut in dieser Funktion, in der er für alle übergeordneten organisatorischen und personellen Entscheidungen verantwortlich war, die das Evangelisierungswerk der Zeugen Jehovas in Deutschland betrafen. Nach dem Umzug der IBV 1923 von Barmen nach Magdeburg entstand dort unter B.s Leitung eine moderne Druckerei und Buchbinderei, die monatlich Millionen ihrer Veröffentlichungen (Traktate, Broschüren, die Zeitschrift  Der Wachtturm, später auch Bücher) herstellte. Die Liegenschaften in Magdeburg befanden sich innerhalb eines Rechtecks, das durch die Wachtturmstraße (Straßenname von 1931–1933 und 1946–1951, heute Emanuel-Larisch-Weg), Am Fuchsberg, Leipziger Straße und Warschauer Straße gebildet wurde. Bis 1933 gab es dort mehr als 180 hauptamtlich Beschäftigte. 1923 begann im “Bibelhaus Magdeburg” die Produktion der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter als eigenständige Magdeburger Ausgabe von The Golden Age (Watch Tower Society, Brooklyn/New York), deren Inhalt Hauptschriftleiter B. mitbestimmte und durch Lyrik und Artikel (unter dem Pseudonym Paul Gehrhard) bereicherte. Die moderne Druckerei in Magdeburg, die neben Deutschland auch Nord- und Osteuropa mit IBV-Literatur versorgte, produzierte täglich etwa 6–10.000 Bücher (Schließung durch die Nationalsozialisten am 28.03.1933). Die gelungenen Illustrationen des Goldenen Zeitalters, für die Wilhelm Schumann zuständig war, trugen zur Beliebtheit der Zeitschrift in Deutschland bei. Gegner maßen den Einfluß der Zeugen Jehovas an ihrer Auflagestärke (1930: 345.000 Exemplare, kurz vor dem nationalsozialistischen Verbot, Mitte 1933: 430.000 Exemplare). 1924 und 1926 veröffentlichte B. auch eigene Aufklärungsmanuskripte. Das 1924/25 reichsweit verbreitete Flugblatt “Anklage gegen die Geistlichkeit” erregte kirchliche Kreise derart, daß das Konsistorium am 16.05.1925 Strafantrag gegen B. als verantwortlichen Schriftleiter stellte. Das Magdeburger Schöffengericht sprach ihn jedoch frei, und der Angeklagte wurde “von einer großen Menschenmenge vor dem Justizpalast begrüßt und beglückwünscht” (Volksstimme Magdeburg vom 07.02.1926). Vor und nach dem nationalsozialistischen Verbot der Zeugen Jehovas vom 24.06.1933 (Preußen) bemühte sich B. vergeblich, die Behörden, die ihm zunächst die Herstellung “unbedenklicher Schriften” (Kalender und Bibeln) gewährten, über den unpolitischen, rein religiösen Charakter der IBV aufzuklären. Vor allem ab 1934 neigte B. zu Kompromissen, die die Brooklyner Leitung nicht akzeptierte, so daß sie sich von dem inzwischen am 10.05.1935 verhafteten und im Oktober vor dem Sondergericht Halle abgeurteilten B. distanzierte. Auf dem Luzerner Kongreß (04.-07.09.1936) setzte Watch Tower-Präsident Joseph Franklin Rutherford (1869–1942) Erich Frost als neuen Landesleiter ein. Im Konzentrationslager Sachsenhausen schwor B. seinem Glauben ab und ging auch nach 1945 eigene Wege (Gründung der Allgemeinen Bibel-Lehrvereinigung; 1958 Umbenennung in Vereinigung freistehender Christen, die mit Unterstützung des Ministeriums für Staatssicherheit gegen die IBV, nunmehr Zeugen Jehovas, agierte). Während B. vor 1933 ein geachteter Redner war, ist er heute unter Jehovas Zeugen nahezu unbekannt.

Werke: Zum Geleit, in: Das Goldene Zeitalter vom 01.04.1923, 3; Die größte Geheimmacht der Welt, 1924; Kulturfragen. Aus autorisierter Quelle, 1926.

Literatur: Detlef Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im “Dritten Reich”, 41999, 76ff., 135; Jb. der Zeugen Jehovas 1974, 82, 88, 107, 148f. Waldemar Hirch, Ehemalige Zeugen Jehovas im Dienste des MfS. Der Fall P. B., in: Gabriele Yonan (Hg.), Im Visier der Stasi. Jehovas Zeugen in der DDR, 2000, 33–52.

Bildquelle: *Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas, Wachtturm-Gesellschaft Selters/Taunus.

Johannes Wrobel