Greischel, Friedrich Traugott Walther, Dr. phil. |
Seit 1896 in Magdeburg ansässig, besuchte der Sohn des Fabrikbesitzers Karl G. das humanistische Gymnasium Pädagogium zum Kloster Unser Lieben Frauen, studierte an verschiedenen deutschen Universitäten Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie und promovierte 1914 in Freiburg/Breisgau. Nach der Soldatenzeit im I. Weltkrieg war G. ab 1919 zunächst Kustos, ab 1922 geschäftsführender Direktor, ab 1923 u. a. auf Empfehlung von Bruno Taut offiziell Amtsnachfolger des Gründungsdirektors Theodor Volbehr im Kaiser-Friedrich-Museum Magdeburg bis zu seiner Flucht nach Westdeutschland im Sommer 1945. Im Oktober 1946 zum Direktor des Westfälischen Landesmuseums in Münster ernannt, förderte G. maßgeblich dessen Wiederaufbau (Pensionierung 1954, seit 1967 Alterssitz in der Schweiz). In Magdeburg erfüllte G. in seinen ersten Amtsjahren die Erwartungen der sozialdemokratisch geführten Stadtregierung; er ordnete und straffte die Dauerausstellung (einreihige Hängung). Als Geschäftsführer des Kunstvereins zu Magdeburg sowie als Mitgründer der Museumsgesellschaft (1924) initiierte und förderte er Sonderausstellungen, Vortragsreihen u. a. kulturelle Veranstaltungen. Anstelle des von seinem Vorgänger propagierten Bildungsauftrags für breite Schichten der Bevölkerung vertrat G. jedoch eine elitär verengte Kunstauffassung, die er mit Künstlerfreunden des Stefan-George-Kreises teilte. Auf G.s Initiative schuf der Bildhauer Ludwig Thormaehlen einen Jünglingskopf, der seit 1921 im Kreuzgang des Klosters Unser Lieben Frauen an die im I. Weltkrieg gefallenen Schüler und Lehrer erinnert. 1929 übergab G. dem “Meister” Stefan George sein Buch über den Magdeburger Dom, das bis heute seinen Wert als grundlegendes Standardwerk behalten hat. Obwohl G. nach der “Machtergreifung” des Nationalsozialismus seine vaterländische Gesinnung betonte, er mehrfach auf seine Verdienste bei der Entfernung des Kriegerdenkmals von Ernst Barlach aus dem Magdeburger Dom hinwies und obwohl er sich sprachlich dem nationalsozialistischen Jargon anpasste (der Expressionismus als “mutige und opferbereite Absage gegen … den internationalen Bürgergeschmack unter Pariser Vorherrschaft”), konnte er die Herausgabe der von ihm hochgeschätzten Werke von Emil Nolde, Edward Munch oder des ihm freundschaftlich verbundenen Malers Erich Heckel als “Entartete Kunst” nicht verhindern. 1937 betrieb Dezernent Gustav Grüßner sogar G.s Amtsenthebung. Unter dem Schutz des einflußreichen Ölmühlenbesitzers und Präses der Magdeburger Handelskammer, Wilhelm-Adolf Farenholtz, der als langjähriger Vorsitzender des Kunstvereins und Mäzen des Kaiser-Friedrich-Museum G.s Kunstauffassungen teilte und in dessen Familie der unverheiratete G. Anschluß gefunden hatte, blieb G. im Amt. Mit Beginn des Luftkrieges unterstand G. die Auslagerung der Sammlungen des Museums zum Schutz vor Fliegerangriffen – eine Aufgabe, die er unter schwierigsten Bedingungen ebenso tatkräftig anpackte wie den später ausgeweiteten Auftrag, sämtliche Kulturgüter und Denkmäler Magdeburgs zu schützen. Gleichwohl konnte er nicht verhindern, daß der Kernbestand des Magdeburger Museums, darunter über 400 Gemälde von europäischem Rang, im Auslagerungsort Salzbergwerk Neustaßfurt nach dem Eintreffen amerikanischer Truppen am 12.04.1945 durch Plünderung und Brandstiftung vernichtet wurde.
Werke: Der Magdeburger Dom, 1929; Die Baukunst der Ottonen, in: Magdeburg in der Politik der deutschen Kaiser, hg. von der Stadt Magdeburg, 1936, 129–155.
Literatur: Kunstverein zu Magdeburg 1835–1935, 1935; Alles verbrannt?, 1995;
Archivalien: Archiv des Landschaftsverbands Westfalen Münster: C 11 A, Nr. 1238 (PA).
Bildquelle: *ebd.
Tobias von Elsner