Morgenstern, Johann Carl Simon, Prof. Dr. phil.
geb. 28.08.1770 Magdeburg,
gest. 03.09.1852 Dorpat,
Hochschullehrer, Philologe.

M., zweiter Sohn des Magdeburger Stadtphysikus Friedrich Simon M. und der mit Ratgeberschriften “für junge Frauenzimmer” hervorgetretenen Johanna Katharina M., geb. Brömme, wechselte mit dem 10. Lebensjahr von der Küsterschule zu St. Ulrich zur Domschule seiner Vaterstadt. In deren Rektor und Freund Klopstocks Gottfried Benedict Funk fand er einen Mentor von umfassender humanistischer Bildung. 1788 bezog er die Universität Halle, wo er Philosophie bei Johann August Eberhard studierte und in das Philologische Seminar Friedrich August Wolfs eintrat. Im Mai 1794 wurde er dort promoviert und 1797 zum außerordentlichen Professor der Philosophie ernannt. 1798 folgte M. einem Ruf nach Danzig, wo er die Professur der Beredsamkeit und Poesie am Athenaeum übernahm. 1802 schließlich ging er als ordentlicher Professor der Beredsamkeit und Klassischen Philologie, der Ästhetik und der Geschichte der Literatur und Kunst an die Universität Dorpat. Er wirkte ferner als Schulkommissar, als Museumskustos sowie als Aufseher der Universitätsbibliothek, für die er Räume in der Domruine herrichten ließ. 1808/09 unternahm M. eine ausgedehnte Reise durch Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Italien, über die er eine Fragment gebliebene Beschreibung veröffentlichte. Sein Weg führte ihn auch über Magdeburg, wo er Funk, dem er 1803 die Ehrendoktorwürde seiner Universität verschafft hatte, und seinen Bruder wiedersah. 1817 erhielt er einen Ruf nach Königsberg, den er jedoch ablehnte. M. blieb auch nach seiner Emeritierung 1834 in Dorpat und verwarf die zeitweilig gehegte Absicht, in seine mitteldeutsche Heimat zurückzukehren. Nachdem er bereits 1848 den von ihm angelegten Garten der Universität übereignet hatte, hinterließ er ihr auch seine Bibliothek (12.000 Bände) und Autographensammlung, darunter Teile des Kant-Nachlasses. Wolfs Urteil, sein Schüler habe “leider wenige der Hoffnungen, die ich mir ehemals von ihm machte”, erfüllt und sei mit den Jahren “immer eleganter, eitler und fader” geworden (1808), ist hart, aber nicht ungerecht. Die von den Zeitgenossen vielbeachteten Platon-Studien, in denen er zu einer moralphilosophischen Lektüre der “Politeia” aufforderte, hat M. nicht fortgesetzt. Statt dessen erging er sich in “Schriftstellerei über alle mögliche Gebiete der belles-lettres, der bildenden Kunst, der Philologie und Philosophie” (Süss, 71). Eine “schöngeistige Ubiquität” (ebd., 73) mußte fortan die konzentrierte wissenschaftliche Arbeit vertreten. M. stellte diese ganz bewußt zugunsten seiner praktischen, pädagogischen Wirksamkeit zurück. In diesem Zusammenhang prägte er in einigen seiner akademischen Festvorträge den Begriff “Bildungsroman”. Wenn M. von diesem “als der vornehmsten und das Wesen des Romans im Gegensatz des Epos am tiefsten erfassenden besonderen Art desselben” sprach, so deutete er damit zugleich an, daß er in der Bildung des Menschen zu einem harmonischen Charakter dessen vornehmste Aufgabe sah.

Werke: De Platonis Republica commentationes tres, Halle 1794; Auszüge aus den Tagebüchern und Papieren eines Reisenden, 1811–1813; Ueber den Geist und Zusammenhang einer Reihe philosophischer Romane [1817]/Ueber das Wesen des Bildungsromans [1820]/Zur Geschichte des Bildungsromans [1824], in: Rolf Selbmann (Hg.), Zur Geschichte des deutschen Bildungsromans, 1988, 45–99; Ingrid Loosme/Mare Rand (Bearb.), Briefwechsel zwischen Georg Friedrich Parrot und K. M., 1802, 1992.

Nachlaß: Univeritätsbibliothek Dorpat (Tartu Ülikooli Raamatukogu).

Literatur: ADB 22, 231–233; Mitteldt Leb 2, 82–91 (*B); Killy 8, 211f.; Ludwig Mercklin, K. M. Gedächtnissrede, 1853 (W,B); Wilhelm Süss, K. M. (1770–1852). Ein kulturhistorischer Versuch, 1928/29; Fritz Martini, Der Bildungsroman. Zur Geschichte des Wortes und der Theorie, in: DVjs 35, 1961, 44–63.

Bildquelle: Universitätsbiliothek Dorpat: Ölgemälde (Abb. in: Jürgen von Hehn/Csaba János Kenéz [Hg.], Reval und die baltischen Länder. Fs. für Hellmuth Weiss, 1980, 480/81).

Reinhard Markner