Uffrecht, Ludwig Rudolf Bernhard
geb. 27.02.1885 Neuhaldensleben,
gest. 24.01.1959 Hannover,
Reformpädagoge, Schulgründer.

U. entstammte einer in Neuhaldensleben ansässigen Fabrikantenfamilie. Sein Großvater Jakob U. hatte 1845 eine Keramikfabrik gegründet, die sich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Herstellung von Zierkeramik aus Siderolith bald einen internationalen Ruf erwarb. Anders als sein Vater Heinrich U., der 1886 die Firmenleitung übernahm, und sein Bruder Theodor Heinrich U. trat er nicht ins Familienunternehmen ein, sondern wählte eine pädagogische Laufbahn. Nach der Reifeprüfung studierte U. 1903–11 evangelische Theologie, Mathematik und Physik und legte das Staatsexamen in Göttingen ab. Seine erste Lehrerstelle, die er 1912 an der Freien Schulgemeinde Wickersdorf unter der Leitung von Gustav Wyneken antrat, war prägend für ihn. “Bewußte Erziehung” und Wynekens Dominanz ablehnend, trennte sich U. mit einigen Schülern von der Schulgemeinde und gründete 1919 die Freie Schul- und Werkgemeinschaft (FSWG), die ihr Domizil von 1922–33 im Jagdschloß Letzlingen hatte. Konzipiert als “erziehungsfreie Gemeinschaft”, führte tätigkeitsorientierter koedukativer Unterricht in altersgemischten Gruppen zum Abitur der Oberrealschule und gegebenenfalls zum Berufsabschluß. Dabei sparte weitgehende Selbstverwaltung von Schule und Internat durch die Schüler Kosten, die großzügig zur Finanzierung von Freistellen eingesetzt wurden. Anfang 1933 erfolgte die Schließung der FSWG und die Beschlagnahme von U.s Eigentums durch die Nationalsozialisten. U. selbst erhielt Berufsverbot. 1936 folgten Studienaufenthalt und kurzzeitig Lehrertätigkeit in England, 1940–44 war U. Lehrer im Landerziehungsheim Salem. 1945–49 startete er einen erneuten Reformversuch mit der “Heimoberschule” in Haldensleben. Nach anfänglichen Erfolgen führten die Unvereinbarkeit mit den Richtlinien der neuen sozialistischen Pädagogik und zunehmende Konflikte durch die neuen politischen Verhältnisse 1949 zur fristlosen Entlassung und zur Flucht in die BRD. Der erneute Versuch einer Schulgründung in Niedersachsen mißlang, nicht zuletzt wegen zunehmender Verschlechterung von U.s Gesundheitszustand.

Werke: Dr. Gustav Wyneken. Eine Abwehr und Abrechnung, 1917; Die freie Schul- und Werkgemeinschaft – eine neue Schulform, 1921; Die freie Schul- und Werkgemeinschaft Letzlingen, 1924; Freie Schul- und Werkgemeinschaft. Blätter zum Gedankenaustausch 1, 1925; Drei Letzlinger Ansprachen, 1993.

Nachlaß: Archiv der Deutschen Jugendbewegung auf dem Ludwigstein bei Witzhausen.

Literatur: Karl Schwarz, Bibliographie der Deutschen Landerziehungsheime, 1970, 110–112; Reinhard Bergner, “Erziehungsfreie Gemeinschaft” – ein Widerspruch in sich? Auf den Spuren B. U.s in der "FSWG" Letzlingen, in: Magdeburger Forschungen, Bd. 4, 1992, 44–53; Ulrich U., Die Freie Schul- und Werkgemeinschaft Letzlingen – ein Schulversuch von bleibender Bedeutung, in: Neue Sammlung. Vierteljahres-Zs. für Erziehung und Gesellschaft 32, 1992, 549-570; Ulrich U., Die Freie Schul- und Werkgemeinschaft Letzlingen – ihr Verhältnis zur Jugendbewegung und zu den anderen Landerziehungsheimen, in: Neue Sammlung. Vierteljahres-Zs. für Erziehung und Gesellschaft 35, 1995, 89-106.

Bildquelle: *Reinhard Bergner, Magdeburg (privat).

Reinhard Bergner

letzte Änderung: 21.09.2005