Harnisch, Wilhelm Christian, Dr. phil., Dr. theol. h.c.
geb. 28.08.1787 Wilsnack bei Wittenberge,
gest. 15.08.1864 Berlin,
Pädagoge, evangelischer Theologe, pädagogischer Schriftsteller.

H.s Vater war Schneidermeister in Wilsnack in der Priegnitz. Von 1800 bis 1806 besuchte H. die Schule in Salzwedel. Ostern 1806 nahm er ein Studium an der Universität Halle auf, die jedoch nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt (14.10.1806) durch Napoleon geschlossen wurde. H. war dann bis 1807 Hauslehrer und begann anschließend ein Theologiestudium an der Universität Frankfurt/Oder, welches er, vermutlich aus finanziellen Gründen, nach einem Jahr abbrach, um in Mecklenburg eine Hauslehrerstelle anzunehmen. 1809 ging er nach Berlin und erhielt nach bestandener theologischer Prüfung eine Stelle an der Plamannschen Erziehungsanstalt, wo er gemeinsam mit Karl Friesen, Friedrich Ludwig Jahn u. a. tätig war. 1812 heiratete H., wurde zum Dr. phil. promoviert und erhielt im gleichen Jahr die Leitung des neu zu organisierenden Schullehrerseminars in Breslau, nachdem er das preußische Unterrichtsministerium durch seine Schrift “Deutsche Volksschulen mit besonderer Rücksicht auf die Pestalozzischen Grundsätze” (1812) auf sich aufmerksam gemacht hatte. 1813 war er an der Aufstellung des Lützowschen Freikorps beteiligt, wurde in Breslau auch zum Hauptmann der Landwehr gewählt. Seine eigene aktive Beteiligung wurde ihm allerdings, wie auch anderen Seminarlehrern, durch das Ministerium verboten. 1814 gründete er den Breslauer Schulverein und begann im gleichen Jahr die pädagogische Zeitschrift Der Erziehungs- und Schulrat an der Oder herauszugeben, die als eine der ersten pädagogischen Fachzeitschriften von überregionaler Bedeutung galt und bis 1900 fortgeführt wurde. Nach dem Vorbild von Jahn richtete H. 1815 in Breslau einen Turnplatz ein. Dabei übernahm er dessen Methoden und insbesondere den Aspekt der patriotischen Erziehung. Die “Turnsperre” in Preußen (1819– 40) versuchte H. durch naturkundliche Exkursionen zu kompensieren, aber auch diese wurden der Regierung bald verdächtig. Wegen seiner Mitgliedschaft im Deutschen Bund geriet er zudem in den Verdacht demagogischer Umtriebe. Um ihn aus Schlesien zu entfernen, wurde H. 1822 in die Provinz Sachsen versetzt. Ab Oktober 1822 war H. Leiter des Seminars in Weißenfels, welches sich durch sein Wirken zu einer international bekannten Lehrerbildungseinrichtung entwickelte. 1842 übernahm er die Pfarrstelle in Elbeu bei Wolmirstedt und war dort ab 1856 als Superintendent tätig. 1861 trat er in den Ruhestand und starb drei Jahre später in Berlin. H. war ein überzeugter Vertreter der Pädagogik Pestalozzis – er wurde auch als der “Begründer des preußischen Pestalozzianismus” bezeichnet –, lehnte jedoch den Formalismus der Pestalozzianer ab und wandte sich in seiner “Weltkunde” einer auf dem Heimatprinzip gründenden Einführung in die Realien (Geschichte, Erdkunde u. a.) zu. Als Förderer der Volksschule setzte er sich zeit seines Lebens für deren Eigenständigkeit als Stätte “volkstümlicher Bildung” gegenüber Kirche und Staat ein. Auch in seiner Zeit in Elbeu befaßte er sich weiter intensiv mit kulturpolitischen Problemen und Fragestellungen der Schule im preußischen Staat.

Werke: s.o.; Hdb. für das deutsche Volksschulwesen, 1820, neu hg. von Friedrich Bartels, 1893; Die Schullehrerbildung, 1836; Das preußische Volksschulwesen in seiner Entwicklung unter dem Ministerium Altenstein, 1842; Die künftige Stellung der Schule, vorzüglich der Volksschule zu Kirche, Staat und Haus, 1848.

Literatur: ADB 10, 614–616; NDB 7, 693; BBKL 2, 570; Hermann Schwartz (Hg.), Pädagogisches Lexikon, Bd. 2, 1929; Robert Rissmann, W. H. in seiner Bedeutung für die Entwicklung der deutsche Volksschule, 1889; Hermann Metzmacher, Weiter- bzw. Umbildungen der Pestalozzischen Grundsätze durch H., Diss. Halle 1901;Friedrich von Werder, Geschichte der Pädagogik in Vorbildern und Bildern, 241907, 376–383 (W);  Hermann Schwartz (Hg.), Pädagogisches Lexikon, Bd. 2, 1929; Alfred Rach, Biographien zur deutschen Erziehungsgeschichte, 1968, 213f.; Martin Wiehle, Altmark-Persönlichkeiten, 1999, 66.

Bildquelle: *C. Werckshagen (Hg.), Der Protestantismus am Ende des 19. Jahrhunderts, 1900/1902, 768.

Wolfgang Mayrhofer

letzte Änderung: 02.02.2005