Thieß, Günter Walter Otto Karl, Prof. Dr. sc. paed.
geb.19.03.1926 Barth,
gest. 25.12.2000 Olpe,
Sportwissenschaftler, Hochschullehrer.

T. besuchte die Volksschule in Barth, die Lehrerbildungsanstalt in Orlau/Oberschlesien, wurde 1943 zum Reichsarbeitsdienst, danach zur Kriegsmarine eingezogen und diente als Fähnrich auf dem Kreuzer “Scheer”. 1945 zunächst Meiereilehrling, besuchte er 1946 einen Neulehrerkurs, arbeitete nach der ersten Lehrerprüfung kurzzeitig als Lehrer in Barth, bestand 1948 erfolgreich die zweite Lehrerprüfung und begann an der Pädagogischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin das Lehramtsstudium in den Fächern Sport und Geographie, das er 1951 mit dem Staatsexamen abschloß. 1951–52 Lehrer in Eisenach, wurde T. 1952 in das neu gegründete Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport beim Ministerrat der DDR nach Berlin berufen und mit der Intensivierung des Kinder- und Jugendsports beauftragt. Gleichzeitig begann er 1952 in einer außerplanmäßigen Aspirantur an der Deutschen Hochschule für Körperkultur Leipzig (DHfK) seine weitere wissenschaftliche Qualifizierung, wurde 1954 zur planmäßigen Aspirantur an die Humboldt-Universität Berlin delegiert und promovierte 1956 bei Heinrich Deiters und Wolfgang Eichel mit dem Thema “Die Autorität des Turnlehrers der Deutschen Demokratischen Schule”. Von 1956 bis 1969 arbeitete T. an der Forschungsstelle der DHfK Leipzig, 1969–72 am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig. 1972 folgte T. einer Berufung an die Pädagogische Hochschule Magdeburg als Hochschuldozent für Trainingslehre sowie Theorie und Praxis der Sportarten. 1975 habilitierte er sich gemeinsam mit Horst Gropler an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften in Berlin zum Dr. sc. paed. Die Palette seiner sportwissenschaftlichen Leistungen ist vielgestaltig und umfangreich. Die in die Sportliteratur eingegangene 1. Karl-Marx-Städter Konferenz (1963) unter der Thematik “Grundlegende Veränderung des Inhalts und der Formen des Turnunterrichts” wurde in der Diskussion neben Werner Dietrich, Paul Kunath besonders auch von T. wesentlich bestimmt. Forschungsthemen wie “Rechtzeitige Spezialisierung im Kinder- und Jugendtraining” und “Sportliche Leistung und Wachstum im Jugendalter” am Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre unter seiner wissenschaftlichen Leitung hatten solide neue Erkenntnisse zur Diskussion gestellt, die zur “Einheitlichen Sichtung und Auswahl von jungen Sporttalenten” (ESA) führten. Mit diesem System wurden in den DDR-Schulen jährlich sportlich begabte Schüler und Jugendliche ermittelt und ihnen bei elterlicher Zustimmung eine besondere Förderung angeboten (Trainingszentren, Kinder- und Jugendsportschulen). Im Vorbereitungsprozeß der DDR-Olympiamannschaft auf die Winterspiele 1960 in Squaw Valley und die Sommerspiele 1960 in Rom wurde T. als trainingsmethodischer Berater eingesetzt, um die neuen Erkenntnisse der Trainingswissenschaften zu erproben. Für solide sportwissenschaftliche Ergebnisse in der Grundlagen- und angewandten Forschung im Schul- und Leistungssport erhielt er hohe gesellschaftliche und staatliche Auszeichnungen. Die Themenfelder seiner Forschungsarbeit waren schul- und leistungssportlich angelegt, konzentrierten sich jedoch auf die Strukturierung des langfristigen Trainingsprozesses. Seiner Konsequenz verdankt die Trainingswissenschaften die Einführung und den schrittweisen Ausbau der Strukturabschnitte Grundlagen-, Aufbau-, Anschluß- und Hochleistungs-Training. Bereits seit den 1960er Jahren trat T. für die Überwindung des überbetonten sportlichen Fertigkeitsunterrichtes ein und forderte die Ausbildung von Grundfähigkeiten für einen langfristigen Leistungsaufbau. In etwa 150 Veröffentlichungen wird sein Einsatz für die Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendsportes deutlich reflektiert. Als Hochschullehrer referierte T. auf zahlreichen nationalen Kongressen und internationalen Symposien, führte über 100 Doktoranden zur Promotionsgraduierung, elf zum Habilitationsabschluß, betreute viele Staatsexamens- und Diplomarbeiten. Bis zu seiner Emeritierung 1988 war er Mitglied des Redaktionskollegiums der sportwissenschaftlichen Zeitschrift Theorie und Praxis der Körperkultur, vom Jahre 1989 an war er Redaktionsmitglied in der vom Deutschen Sportbund, Bundesvorstand Leistungssport, herausgegebenen Zeitschrift Leistungssport.

Werke: Leichtathletik. Ein Buch für Lehrer, Trainer und Übungsleiter im Kindersport, 1961, 31966; Die Kennzeichnung der inneren Struktur der körperlichen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen der DDR, 1975; Training von A-Z, 1978; Grundbegriffe des Trainings, 1986 (mit Günter Schnabel); Der sportliche Wettkampf. Vorbereitung – Durchführung – Auswertung, 1997; Hdb. zur Wettkampflehre, 1999.

Literatur: Peter Tschiene/Helmut Nickel, Initiator einer sportwissenschaftlich fundierten Trainings- und Wettkampfpraxis (Nachruf), in: Leistungssport 31, H. 1, 2001, 28; Paul Kunath, Prof. em. Dr. sc. paed. G. T., in: Beiträge zur Sportgeschichte, H. 12, 2001, 92f.

Bildquelle: *Familienunterlagen Hannelore T., Schönebeck (privat).

Norbert Heise

letzte Änderung: 01.03.2005