Nathusius, Marie
Karoline Elisabeth Luise, |
Die Tochter eines Pfarrers und späteren Superintendenten wuchs in Calbe/Saale auf und erhielt nur eine dürftige Schulbildung. Sie begleitete ihren Vater jedoch häufig auf Visitationsreisen und erwarb sich gute Fähigkeiten in der Beobachtung von Menschen aller Schichten. Seit 1834 führte sie ihrem Bruder, der als Lehrer stets einige Jungen in Pension hatte, zunächst in Magdeburg, dann in Eickendorf den Haushalt. Hier hatte sie Gelegenheit, unmittelbar pädagogische und jugendpsychologische Erfahrungen zu sammeln. 1841 heiratete sie den Fabrikantensohn, Gutsbesitzer und Liederdichter Philipp N. (geadelt 1861). Von Beginn der Ehe an wandte das Paar viel Zeit und Mühe an karitative Tätigkeiten. So gründeten sie u. a. eine Kleinkinderbewahranstalt in Althaldensleben, betrieben seit 1850 ein Rettungs- und Brüderhaus auf dem neuerworbenen Gut Neinstedt und stifteten damit für ihre Region eine Tradition christlicher Nächstenliebe und Sozialfürsorge für Bedürftige im Sinne der Inneren Mission. N. begleitete ihren Mann auf mehreren Reisen in das europäische Ausland und legte hierzu sowie zu ihren Kindern Aufzeichnungen in Tagebuchform an. Ihre ersten Erzählungen veröffentlichte sie im Volksblatt für Stadt und Land, das ihr Mann seit 1849 leitete. Vom Elternhaus her stark religiös, durch eine Tante in Magdeburg auch pietistisch geprägt, zeichnen die meisten ihrer Texte ein christlich-konservatives Weltbild und boten insbesondere jungen Menschen Identifikationsmöglichkeiten mit frommen, aber selbstbewußten literarischen Figuren, die sich gegen gesellschaftlich akzeptierte Normen auf ihre christlichen Überzeugungen berufen. Ihr erster großer Erfolg war das “Tagebuch eines armen Fräuleins” (1854, 141886), der nur noch durch den Roman “Elisabeth. Eine Geschichte, die nicht mit der Heirath schließt”, 1858 von ihrem Mann posthum veröffentlicht, übertroffen wurde. Daneben entstanden zahlreiche Erzählungen, die, Autobiographisches und Zeitgeschichtliches einbeziehend, mit feinem Humor und in lebendiger Erzählweise die Auseinandersetzung junger Menschen mit der Welt schildern und dabei Rat und Vorbilder schaffen wollen. N., die sich autodidaktisch musikalische Kenntnisse angeeignet hatte, komponierte und arrangierte auch und hatte u. a. Anteil an der Vertonung einiger Lieder von Hoffmann von Fallersleben. Nach ihrem frühen Tod veröffentlichte ihr Mann ihre Texte in den “Gesammelten Schriften”, gab ihre Lieder heraus und arrangierte ihre Tagebucheinträge und Briefe zu einem ausführlichen Lebensbild. Einige Werke der N. wurden in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt und bis etwa 1920 immer wieder aufgelegt. Nicht wenige gingen in volkstümliche Reihen ein. Auch die Gesamtausgabe erlebte noch mehrere Auflagen.
Werke: Langenstein und Boblingen, 1855, 161888; Gesammelte Schriften (15 Bde), 1867–69. (*B).
Literatur: ADB 23, 283–285; BBKL 16, Sp. 1119f., Kosch LL 11, 52–54; Killy 8, 335; [Philipp v. N.], Lebensbild der heimgegangenen M. N. geb. Scheele (3 Bde), 1867–69 (zuerst 1866); Elise Gründler, M. N. Ein Lebensbild, 1893, 21909; Klaus Doderer (Hg.), Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 2, 1982, 533f.; Sieglinde Bandoly, Die Familie N. und die Brüder Grimm, in: Js. des Kreismuseums Haldensleben 32, 1992, 73–88; Susanne Kleiner, M. N. (1817–1857). Eine liedschaffende Frau im bürgerlichen Protestantismus des 19. Jahrhunderts. Schriftliche Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, Ms. Würzburg 1995; Detlev Gärtner, “Es dichtet für mich genug der ganze Park”. Althaldensleben-Hundisburg im Spiegel der Literatur des 19. Jahrhunderts, 1997; Heike Steinhorst, M. N. Frauenliteratur im 19. Jahrhundert, in: Gunter Schandera/Michael Schilling (Hg.), Prolegomena zur Kultur- und Literaturgeschichte des Magdeburger Raumes, 1999, 233–251.
Bildquellen: Museum Haldensleben; Neinstedter Anstalten: Ölgemälde.
Heike Steinhorst
geändert: 09.06.2004