Schiele, Martin, Dr. h.c.
geb. 17.01.1870 Groß-Schwarzlose/Altmark,
gest. 16.02.1939 Suckow/Mecklenburg,
Landwirt, Politiker.

Der Sohn einer altmärkischen Bauernfamilie absolvierte das Stendaler Gymnasium und war nach seiner landwirtschaftlichen Ausbildung als Gutspächter auf dem ritterlichen Adelssitz von Alvensleben in Neu-Schollene (Kreis Jerichow II) tätig. Sein politisches Engagement begann S. als 27jähriger deutschkonservativer Kreisabgeordneter und Kreisausschußmitglied im Landkreis Jerichow II (Genthin), wo er sich als Kreisdeputierter 1914 von seiner Klientel, den ostelbischen Großagrariern, in den Reichstag wählen ließ. Der Rittergutspächter saß für die Deutschkonservativen von 1914 bis 1918 im Reichstag und für die von ihm mitgegründete Deutschnationale Volkspartei (DNVP) 1919/20 in der Weimarer Nationalversammlung, sowie von 1920 bis zu seiner Mandatsniederlegung im März 1930 wiederum im Reichstag. Nach der 1924 erfolgten Einstellung eines gegen ihn laufenden Strafverfahrens wegen aktiver Teilnahme am Kapp-Putsch (1920) war S. im 1. Kabinett Hans Luther (parteilos) 1925 Reichsinnenminister und fungierte im 4. Kabinett Wilhelm Marx (Zentrum) 1927/28 sowie im Heinrich Brüningschen 1. Präsidialkabinett (Zentrum) 1930–32 als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft. Zwischenzeitlich war S. 1928/30 Geschäftsführender Präsident des Reichslandbundes. In seinen Positionen, insbesondere als Agrar- Reichsminister und Führer des argrarischen Flügels seiner Partei, erwies sich der antiparlamentarische, aber gouvernementale Agrarkonservative und Lobbyist der ostelbischen Großagrarier als pragmatischer Politiker und Repräsentant seiner Zeit, der die Weimarer Agrarpolitik seit 1927 entscheidend beeinflußte und sich vor allem mit der Ausarbeitung einer agrarpolitischen Konzeption zur Überwindung der Wirtschaftskrise 1929/33 und zur Entwicklung eines stabilen Binnenmarktes Verdienste erwarb. So gehören die von ihm ausgearbeiteten und von der Reichsregierung auf staatlichem Wege in den Krisenjahren erlassenen “Notprogramme” für die deutsche Landwirtschaft (Schutzzoll-, Osthilfe-, Umschuldungs-, Siedlungs-, Rationalisierungs-Maßnahmen) als Teile des Agrarprojektes, mit denen S. auf eine langfristige, grundlegende Erneuerung der deutschen Landwirtschaft orientierte, zu den bedeutendsten Leistungen S.s, auch wenn das Reformwerk zu diesem Zeitpunkt nicht im vollen Umfang durchgesetzt, die erlassenen Agrarmaßnahmen nicht von allen Parteien mitgetragen und die fortschreitende Agrarkrise sowie die Radikalisierung der Landwirtschaft nicht gebremst werden konnten. Das als Kernstück geltende Osthilfeprogramm wurde erst 1936 außer Kraft gesetzt. Auf Grund wachsender Widerstände in den eigenen Reihen, insbesondere wegen seiner eigenständig geführten Agrar-Verbandspolitik (Gründung Landvolkpartei 1928 und “Grüne Front” 1929), die dem rechts- extremen NSDAP/Deutschnationale Volkspartei-Parteienbündnis (“Harzburger Front”) entgegenwirkte, war S. seit Ende 1929 in eine zunehmende Gegnerschaft zu seinem Parteivorsitzenden Alfred Hugenberg geraten, was 1930 seinen Wechsel in die kurzlebige, berufsständische Christlich-Nationale-Bauern-Landvolkpartei und sein Ausscheiden als Mitglied des Reichstages der Deutschnationalen Volkspartei zur Folge hatte. Mit dem Rücktritt der Brüning-Regierung verlor S. auch seinen Posten als Agrar-Reichsminister und zog sich danach aus der aktiven Politik zurück.

Werke: Wie kann die Landwirtschaft wieder rentabel werden? 1929; Der Schutz der deutschen Landwirtschaft, 1930. 

Literatur: DBE 8, 627f.; Cuno Horkenbach (Hg.), Das Deutsche Reich, 1930, 738; Hans Kretschmar, Deutsche Agrarprogramme der Nachkriegszeit, 1933; Bruno Buchta, Die Junker und die Weimarer Republik. Charakter und Bedeutung der Osthilfe in den Jahren 1928–1933, 1959; Dieter Fricke (Hg.), Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Hdb. der Gesch. der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis 1945, Bd. 1, 1968, 715–753; Bd. 2, 1970, 183–185, 521–540; Klaus Börner, Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die Notverordnungspolitik der Reichsregierung und der Kampf gegen die anwachsende Gefahr des Faschismus im Kreis Jerichow II – Genthin 1929–1933, Ms. 1980; Siegmund Neumann, Die Parteien der Weimarer Republik 1918–1933, 1986; Wolfgang Benz/Hermann Graml (Hg.), Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, 1988, 290f.

Bildquelle: *Sammlung Klaus Börner, Genthin (privat).

Klaus Börner

letzte Änderung: 28.02.2005