Schichtl, Xaver
August Jean |
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S. wurde in der siebenten Generation einer berühmten Schausteller- und Marionettenspielerdynastie geboren (vgl. Franz August S.). Bereits mit 13 Jahren lernte er im elterlichen Marionetten- und Varieté-Theater und arbeite etwa ab 1908 als Bühnenmeister. Er übernahm ein Theater seines Vaters Franz August S., gab 1913 seine ersten Marionettenvorstellungen, eröffnete 1918 ein Geschäft in Hannover und siedelte sich 1920 mit seiner Frau in Magdeburg in der Arndtstraße an. Dort befanden sich neben der Wohnung die Werkstätten und der Parkplatz für bis zu sieben Wohn- bzw. Packwagen für die Reise. S., der bis 1939 ständig auf der Dommesse in Magdeburg vertreten war, reiste teilweise mit einem 24-m-Front-Geschäft mit bis zu 600 Sitz- und Stehplätzen. Er bespielte von Magdeburg aus mit seinem Wandervarieté- und Marionettentheater die großen Messen und Jahrmärkte in Hessen, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen. In den 1930er Jahren reduzierte er sein Unternehmen auf das Marionettentheater. Hier fühlte er sich der Familientradition verpflichtet. Die Familie übersiedelte wegen der Bombenangriffe 1944 nach Neckargemünd und spielte etwa bis 1960 im Rhein-Neckar-Gebiet. Rückblickend sind seine Leistungen zwischen volkstümlichem und künstlerischem Puppenspiel einzustufen, wobei er auch unternehmerisch sehr erfolgreich war. Bekannt wurden die Figur seines Ansagers, aber auch die Vorführungen mit der “Zauberbrille” und der Fingerringmarionette. S. hatte schon frühzeitig erkannt, daß ein festes Puppentheater die besten Voraussetzungen bietet, anspruchsvolle Leistungen zu erbringen. Leider gelang ihm die Einrichtung eines festen Hauses in Magdeburg nicht. Vor allem dem Engagement von S. ist es zu verdanken, daß das Puppentheater erstmalig gleichberechtigt neben den anderen Theaterkünsten auf der Deutschen Theaterausstellung 1927 in Magdeburg vertreten war. S. brachte sich, beginnend 1934, zunehmend in die berufliche Verbandsarbeit ein und versuchte engagiert, allerdings vergeblich, das Puppentheater mit seinen vielfältigen Formen organisatorisch weg vom ambulanten Gewerbe in die Nähe des Reichstheaters einzuordnen. Sein Lebenswerk wurde 1962 mit der Ehrenmitgliedschaft der Union Internationale de la Marionnette (UNIMA) gewürdigt.
Werke: Von dem bewegten Leben der alten Puppenspielerfamilie S., Sonderdruck 1962.
Nachlaß: Museum für Figurentheater Lübeck; Münchner Stadtmuseum, Puppentheater Magdeburg.
Literatur: Olaf Bernstengel/Johannes Richter, X. S. – Puppenspieler in Magdeburg 1920–1944, in: Magdeburger Blätter 1984, 62–67; Johannes Richter, Das Puppentheater auf der Deutschen Theaterausstellung 1927 in Magdeburg, in: ebd. 1989, 60–63; Florian Dering u. a., Heute Hinrichtung. Jahrmarkts- und Varietéattraktionen der Schausteller-Dynastie S., 1990, 89–106; Walter Kipsch, Bemerkungen zum Puppenspiel, 1992, 17–59; Helga Werle-Burger, Vornehmstes Familientheater. S.s Marionetten- Varieté-Theater, 1993; Johannes Richter, Mit allerhöchster Bewilligung, 1999, 60–77; ders., Vergleich von Spielgebieten sowie Spiel- und Reisebedingungen mitteldeutscher Puppenspieler, in: Beiträge zum Symposium: Über den Alltag der reisenden Puppenspieler, 2001 (in Vorbereitung).
Bildquelle: *Puppentheaterarchiv Johannes Richter, Magdeburg.
Johannes Richter