Stoecker, Adolf
geb. 11.12.1835 Halberstadt,
gest. 07.02.1909 Gries bei Bozen,
evangelischer Pfarrer, Sozialreformer.

S., Sohn eines gelernten Schmiedes und Wachtmeisters bei den Halberstädter Kürassieren, studierte in Halle und Berlin evangelische Theologie und gewann frühzeitig Interesse für soziale Fragen. Nach einer fünfjährigen Tätigkeit als Hauslehrer war S. zunächst Pfarrer in Seggerde im Kreis Gardelegen, übernahm aber bereits 1866 eine Pfarrstelle in der Industriegemeinde Hamersleben in der Magdeburger Börde. Es handelte sich hierbei um eine entkirchlichte Gemeinde, die zudem unter massivem katholischen Einfluß stand. Erstmals wurde S. mit den Nöten noch nicht organisierter Industriearbeiter konfrontiert. Dieser Tatbestand veranlaßte ihn, sich intensiv mit der “sozialen Frage” auseinander zusetzen. Mit Kirchenzuchtmaßnahmen suchte er das kirchliche Leben zu erneuern. Dabei ging es vor allem um die Frage der Kindererziehung in konfessionellen Mischehen, der Sonntagsarbeit und des Tanzens auf Volksfesten, an denen auch die Schuljugend teilnahm. Nach heftigen Auseinandersetzungen (sogenannter Mischehenstreit etc.) verließ S. im Jahre 1871 die Pfarrstelle. 1871–74 war er als Garnisonspfarrer in Metz tätig. Der seit 1874 als Hof- und Domprediger in Berlin Amtierende versuchte, die Kluft zwischen Kirche und Arbeiterschaft durch Gründung einer Partei, der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei, zu überwinden. Seit 1877 war er zudem der Leiter der 1874 gegründeten Berliner Stadtmission. Die Feindschaft Otto von Bismarcks und die Haltung Wilhelm II. setzten seiner politischen, antisemitisch gefärbten Wirksamkeit ein Ende.

Werke: Eine entscheidende Stunde deutscher Geschichte, 1881; Die persönliche Verantwortung der Besitzenden und Nichtbesitzenden in der sozialen Bewegung der Gegenwart, 1881; Den Armen wird das Evangelium gepredigt, 1885; Wach auf, evangelisches Volk! Reden und Aufsätze zur kirchlichen Lage, 1893; Reinhold Seeberg (Hg.), A. S. Reden und Aufsätze, 1913.

Literatur: RGG 4, 31907, 387; BBKL 10, 1507–1511; Mitteldt Leb 4, 383–404 (*B); Max Braun, A. S. Ein Lebensbild, 1912 (B); Walter Frank, Hofprediger A. S. und die christlichsoziale Bewegung, 1928; Renate Düwel, Soziale Bestrebungen im preußischen Protestantentum des 19. Jahrhunderts von J. H. Wichern und A. S., 1962; Hans Engelmann, Kirche am Abgrund. A. S. und seine antijüdische Bewegung, 1984; Grit Koch, A. S. 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche, 1993.

Nathanael Schulz