Strauch, Hertha Adrienne
Ps.: Adrienne Thomas,
verh. Lesser,
verh. Deutsch,
geb. 24.06.1897 St. Avold (Elsaß-Lothringen),
gest. 07.11.1980 Wien,
Schriftstellerin.

Als die Tochter des jüdischen Kaufmanns im Oktober 1921 als Frau des Zahnarztes Dr. Arno Lesser die Wohnung im Magdeburger Breiter Weg 12 bezog, lag bereits ein bewegender Lebensabschnitt hinter ihr. Als Rote-Kreuz-Schwester hatte sie auf dem Frontbahnhof Metz (Lothringen) 1914-1916 die Schrecken des Krieges erlebt. Nach dem Umzug der Familie nach Berlin begegnete sie in sozialen Hilfsdiensten den Folgen des Krieges für die zivile Bevölkerung und wurde Pazifistin. Bis 1928 wohnte sie in Magdeburg, ehe sie ihrem Mann nach Berlin folgte, der dort eine Praxis eröffnet hatte. Die betriebenen Gesangsstudien konnte sie in Magdeburg nicht fortsetzen, wohl aber nahm sie regen Anteil am kulturellen Leben. Die Stadt und deren Geschichte spielt in ihrem literarischen Schaffen später eine bemerkenswerte Rolle, dem sie sich gegen Ende der Magdeburger Zeit auf Anraten von Freunden zuwandte. 1930 erschien ihr erster Roman „Die Katrin wird Soldat“ - ­Widerspiegelung des Kriegserlebens - in Berlin und wird in kurzer Zeit in 15 Sprachen weltweit bekannt. Dem Aufenthalt in Berlin - ihr Mann war inzwischen verstorben - folgten 1932 Lebensstationen in der Schweiz und 1934 in Frankreich, ehe sie 1935 in Österreich ihre neue Heimat fand. Nach der Besetzung Österreichs durch Deutschland 1938 führte sie eine abenteuerliche Flucht über südost- und südeuropäische Länder zurück nach Frankreich. Ihr schloß sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der Leidensweg durch französische Gefängnisse und Internierungslager an, bis ihre Ausreise erwirkt wurde und sie am 13.09.1940 amerikanischen Boden betreten konnte. Sie blieb in New York, arbeitete in Emigrantenorganisationen und setzte ihre weitgehend autobiographisch gefärbte literarische Tätigkeit auch unter schwierigen Lebensbedingungen fort. S. war zu diesem Zeitpunkt bereits eine bekannte Schriftstellerin. 1936 war ihr Roman „Katrin! Die Welt brennt!“ in Amsterdam erschienen, das Menetekel für den Zweiten Weltkrieg vorgegeben. 1944 folgte der Roman „Reisen Sie ab, Mademoiselle!“, vom Leben der Schriftstellerin zwischen 1935 und 1940 inspiriert. Im engen Zusammenhang damit ist der Essay „Nein und Ja“ zu sehen. Dem Nein der Pazifistin folgte - ausgelöst durch das Erleben in Österreich - 1938 das Ja zum Krieg gegen den „Antimenschen“ Hitler. Zwei weitere Romane seien genannt: 1934 hatte der Roman „Dreiviertel Neugier“ vorgelegen, Zeugnis dafür, daß die Autorin sich eng mit Magdeburg verbunden gefühlt hat. Der Roman „Ein Fenster zum East River“ (1945) ist dem Leben der Autorin in New York verbunden. - Im Rahmen der Tätigkeiten in Emigrantenorganisationen lernte S. den österreichischen Sozialdemokraten Julius Deutsch kennen, heiratete ihn 1941 und kehrte mit ihm 1947 nach Österreich zurück. Die ,,kämpferische Anwältin der Freiheit und des Menschenrechts“ war eine hochgeachtete Persönlichkeit; die Auszeichnung mit dem Professorentitel 1973 ist dafür ein äußerer Beleg. - Die Literaturwissenschaft hat das literarische Schaffen S.s der Erlebnis- und Unterhaltungsliteratur zugeordnet. Die nachhaltige Resonanz im Weltmaßstab als humanistische Zeitzeugin begründet nachdrücklich ihre Bedeutung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Werke: Die Katrin wird Soldat. Ein Roman aus Elsaß-Lothringen, 1930 u.ö. (Neuauflagen 1938, 1962, 1987, 1988); Katrin! Die Welt brennt!, 1936 u.ö.; Wettlauf mit dem Traum, 1939 (Neuauflage 1949); Reisen Sie ab, Mademoiselle!, 1944 (Neuauflagen 1947, 1957, 1982, 1988); Da und dort (Sammlung literarischer Skizzen und kleiner Erzählungen), 1950; markusplatz um vier, 1955; Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Ein Tagebuch, 2004.

 Nachlaß: Österreichisches Literaturarchiv Wien: Sign. 181/02.

 Literatur: Julius Deutsch, Ein weiter Weg. Lebenserinnerungen, 1960; Gabriele Kreis, Frauen im Exil, Dichtung und Wirklichkeit, 1984; Gisela Brinker-Gabler u.a. (Hg.), Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800-1945, 1986, 310f. (B); Erika E. Theobald, Adrienne Thomas, in: John M. Spalek/Joseph Strelka (Hg.), Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Bd. 2, Tl. 2, 1989, 905‑913; Karin Sinhuber, Adrienne Thomas. Eine Eine Monographie, masch. Diss. Wien 1990; Brian Murdoch, Hinter die Kulissen des Krieges sehen: Adrienne Thomas, Evadne Price – and E.M. Remarque, in: Forum for Modern Language Studies 28, H. 1, 1992, 56-74; Christa Gürtler/Sigrid Schmid-Bortenschlager (Hg.): Erfolg und Verfolgung. Österreichische Schriftstellerinnen 1918-1945, 2002; Otto Fuhlrott/Karlheinz Kärgling, Adrienne Thomas und Magdeburg (zwischen Nein und Ja), in: Almanach 2002/2003 der Literarischen Gesellschaft Magdeburg e.V., Magdeburg 2002, 37-54.

Bildquelle: *Österreichisches Literaturarchiv Wien (www.onb.ac.at/sammlungen/litarchiv/bestand/sg/nl/thomas.html).

Otto Fuhlrott

 letzte Änderung: 26.04.2005