Wenghöfer, Walter, Dr. phil.
geb. 06.10.1877 Magdeburg,
gest. um den 01.10.1918 Magdeburg (Suizid),
Dichter.

In W. begegnet man einem nahezu unbekannten Dichter Magdeburgs, dessen überaus schmales Werk kaum literaturgeschichtliche Spuren hinterlassen hat. Der Sohn des Magdeburger Tischlermeisters Johann W. absolvierte das Realgymnasium seiner Heimatstadt bis zur Obersekunda und wechselte im August 1896 auf das Realgymnasium in Osterode/Harz, wo er 1898 das Abitur ablegte. In München und Berlin studierte er anschließend Philosophie und kehrte 1901 nach Magdeburg zurück. Während seines Studiums lernte er die Dichtungen Stefan Georges kennen und erfuhr deren neue und höchst artifizielle Sprache als schicksalhafte Weisung für sein weiteres Leben, das er fortan – “zusammengezogen in Erwartung des Wortes” (Brief an Hanna Wolfskehl vom 24.11.1911) – ganz in den Dienst hoher ästhetischer und lebensphilosophische Ziele stellte. Bevor er sein Studium 1906/07 in Jena mit der Promotion zum Thema “Das Problem der Persönlichkeit bei Jean Paul” (1907) abschloß, widmete er sich in Magdeburg mehrere Jahre ganz der eigenen dichterischen Arbeit. 1907 siedelte er nach Halberstadt über und lebte von 1909 bis November 1917 – ohne einen bürgerlichen Beruf auszuüben und in weitgehender Zurückgezogenheit – wieder in Magdeburg. Seine Existenz bestritt er aus einem bescheidenen Vermögen und den Einkünften seiner Mutter, mit der er zusammenlebte und die er bis zu ihrem Tod Ende Mai 1916 langjährig pflegte. W. stand seit 1903 in brieflichem und später auch in persönlichem Kontakt mit George und den Mitgliedern seines Kreises in Berlin (u. a. mit Friedrich Wolters, Ludwig Thormählen, Ernst Morwitz, Berthold Vallentin), die er dort zuweilen besuchte und auch an Lesungen teilnahm. Zudem hielt er enge freundschaftliche Verbindungen nach Oberbayern und München, u. a. zu Karl und Hanna Wolfskehl. Von seinen wenigen Gedichten und Gedichtzyklen, die er als “Ergebnis des langen Alleinseins und des Strebens um Können und Form” (Brief an Stefan George vom 3. Juli 1903) immer wieder selbstkritisch prüfte und überarbeitete, wurde ein Teil in Georges Blätter für die Kunst publiziert. In ihnen suchte er, den in Georges Dichtungen erfahrenen, verborgenen Rhythmus des Seelen- und Weltgebildes zu erfassen und mitzuteilen, dessen gültiger dichterischer Ausdruck ihm zugleich für den Schaffenden wie für sein Werk “die sinnliche Formel seines Seins” offenbaren sollte (Brief an George, 1903). W. entwarf – wie der frühe George von der Dichtung des französischen Symbolismus (Mallarmé) beeinflußt – eine “Poetologie des Indirekten, der Andeutung und Verdeckung” (Pieger, 2001, 73), in der sich ihm wechselseitig welthaltiges Sein und seinshaltige Welt herstellen und verbürgen ließen. Durch seine bewußt überstrenge Verhaltenheit vor dem inneren dichterischen Gesetz und der Notwendigkeit, “jedes Werk in die höchste und gespannteste Form zu zwingen” (Wolters, 1930), blieb W.s dichterische Produktivität jedoch zeit seines Lebens gehemmt, weil an ein ihr notwendiges “Erschweigen” des Wesentlichen gekoppelt. Sein Ende 1917 erfolgter Umzug nach Berlin, wo er nur eingeschränkte Kontakte unterhielt, darf in der Rückschau als letzter Versuch W.s angesehen werden, trotz zunehmenden körperlich-seelischen Verfalls und künstlerischer Isolation ein dichterisches Sein zu gewinnen. Vermutlich aus Sorge vor der drohenden Einberufung zum Kriegsdienst verließ W. Ende September 1918 Berlin und suchte, nach Magdeburg zurückgekehrt, den Freitod in der Elbe. Stefan George reihte den Dichter W. mit einem der “Sprüche an die Toten” unter die im Kriege gefallenen Freunde ein.

Werke: Der dunkle Saal (Auswahl von Gedichten), in: Blätter für die Kunst. Auslese-Bd. 3, 1909, 136–151; Die Tage des Endymion (Gedichtfolge), in: Blätter für die Kunst, Folge 8, 1909 und Folge 9, 1910; Ausgewählte Gedichte und Briefe, in: Castrum peregrini, Bd. 50, 2001, 41–62.

Literatur: Friedrich Wolters, Stefan George und die Blätter für die Kunst, 1930, 280f.; Kurt Hildebrandt, Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis, 1965; Robert Boehringer, Mein Bild von Stefan George, 21967 (B); H.-J. Seekamp u. a. (Hg.), Stefan George. Eine Zeittafel, 1972; Bruno Pieger, “… zusammengezogen in Erwartung des Wortes”. Der Dichter W. W., in: Castrum peregrini, Bd. 50, 2001, 64–91.

Bildquelle: Stefan-George-Archiv Stuttgart.

Guido Heinrich

letzte Änderung: 02.03.2005