Schiebold, Ernst, Prof. Dr. phil.
geb. 09.06.1894 Leipzig,
gest. 04.06.1963 Magdeburg,
Naturwissenschaftler, Techniker, Hochschullehrer.

S., ältester Sohn eines Beamten, legte 1913 in Leipzig das Abitur ab und nahm im gleichen Jahr das Studium an der Leipziger Universität auf. Dort belegte er die Fächer Mathematik, Physik, Chemie, Geologie und Mineralogie. Seine Ausbildung schloß er 1918 mit der Promotion und 1920 mit dem Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Seine Dissertation, die er während seiner Assistentenzeit bei dem bekannten Mineralogen Friedrich Rinne anfertigte, war richtungsweisend für viele weitere Arbeiten auf dem Gebiet der Röntgen-Strukturanalyse. Seine wissenschaftlichen Leistungen, u. a. die zusammen mit Arthur Schönflies entwickelte Symbolik der 230 kristallographischen Raumgruppen und das Schiebold-Sauter-Goniometer, fanden frühzeitig internationale Anerkennung. 1922 übertrug ihm das Kaiser-Wilhelm-Institut in Neubabelsberg Aufbau und Leitung des Röntgenlabors sowie die Leitung der Abteilung Angewandte Physik, die er – auch nach Verlegung des Instituts in das Staatliche Materialprüfamt Berlin-Dahlem – bis zu seiner Berufung 1926 zum außerordentlichen Professor für physikalisch- chemische Mineralogie, Petrographie und Feinbaulehre an die Universität Leipzig innehatte. 1928 übernahm S., damals jüngster Professor an der Universität, die Vorlesungen seines emeritierten früheren Lehrers Rinne. In diese Zeit fiel auch die Berufung zum Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sowie zum Auswärtigen Mitglied des zugehörigen Instituts für Metallforschung Stuttgart. 1941 wurde S. zum Professor für Röntgenphysik und technische Röntgenkunde an die Technische Hochschule Dresden berufen und gleichzeitig zum Leiter des dort zu errichtenden Versuchs- und Materialprüfamtes ernannt. In Verbindung mit seiner Industrietätigkeit wurde in Leipzig mit Unterstützung der Stadt und der Industrie ein Institut für röntgenologische Roh- und Werkstofforschung eingerichtet, dessen Leitung ebenfalls S. übertragen wurde. 1943 vernichtete ein Bombenangriff sein mit viel Mühe errichtetes Lebenswerk, seine Geräte, Sammlungen an Mineralien, Modelle, seine Bücher, zahlreiche Manuskripte sowie sein Wohnhaus. Nach Kriegsende stellte er sich sofort dem Wiederaufbau zur Verfügung. Mit den wenigen verbliebenen Geräten half S., zerstörte Kesselanlagen und Rohrleitungen der chemischen Industrie wieder instandzusetzen. Von 1946 bis 1948 arbeitete er für die Sowjetische Militär-Administration Deutschlands (SMAD) und für SAG-Betriebe. Er war als Hauptreferent in der wissenschaftlich-technischen Abteilung des Ministeriums für Baumaterialien der UdSSR in Leipzig tätig und beschäftigte sich hier mit Strukturuntersuchungen an Asbesten sowie der Suche nach Austauschstoffen für diese. 1949 wurde S. die Leitung der Physikalischen Abteilung des Eisenforschungsinstituts der DDR in Hennigsdorf übertragen. 1951 übernahm er die Leitung der Forschungsstelle “Zerstörungsfreie Werkstoffprüfung” des Deutschen Amtes für Material- und Warenprüfung in Leipzig. Den Höhepunkt seines Lebens bildete für S. die Berufung zum Professor mit Lehrstuhl und zum Direktor des Instituts für Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung an die neu gegründete Hochschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg im Jahre 1954. Hier baute er ein für damalige Verhältnisse in der DDR einzigartiges Institut auf und begründete eine wissenschaftliche Schule, die sich durch eine auch nach heutigen Maßstäben moderne, physikalisch orientierte Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaft und Werkstoffprüftechnik auszeichnete. Gemessen an der nur neunjährigen Dauer des Wirkens von S. an diesem Institut wurden sieben seiner Schüler zum Professoren und fünf zu Dozenten an Universität und Hochschulen berufen. S. war einer der profiliertesten, international anerkannten Wissenschaftler auf seinem Fachgebiet. Seine wissenschaftliche Bedeutung liegt zum einen in der erfolgreichen Weiterentwicklung röntgenographischer Untersuchungsmethoden, ihrer Anwendung auf spezielle mineralogische Probleme und damit verbunden in seinem Beitrag zur Vervollkommnung hierfür geeigneter Apparaturen, zum anderen in der Nutzung kristallographischer Forschungsmethoden für die moderne Werkstoffprüfung und ihrer Einführung in die einschlägige Industrie. Seine Leistungen wurden 1958 mit dem Nationalpreis der DDR gewürdigt. Von 1956 bis 1960 war S. Dekan der Fakultät für Technologie des Maschinenbaus, nach seiner Emeritierung 1962 berief ihn die Technische Hochschule Magdeburg zum Ehrensenator. Viele Jahre fungierte er als Vorsitzender des Klubs der Intelligenz Otto von Guericke des Kulturbundes der DDR in Magdeburg. In dieser Eigenschaft trug er wesentlich zur Entwicklung des kulturellen Lebens in der Elbestadt bei. Er war Ehrenmitglied der Kammer der Technik, die ihm die Goldene Ehrennadel verlieh. Zum Gedenken an das Wirken von S. in den Anfangsjahren der Universität Magdeburg wurde 1984 die “Ernst-Schiebold-Gastprofessur” eingerichtet, die jährlich neu besetzt werden kann. Die Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Werkstoffprüfung (DGzfP) stiftete 1996 die “S.-Gedenkmünze”, mit der jährlich herausragende Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern ausgezeichnet werden.

Werke: Ergebnisse der technischen Röntgenkunde, Bd. I: Die Röntgentechnik in der Materialprüfung, 1930 (mit John Eggert) und Bd. II: Fortschritte der technischen Röntgenforschung in Methode & Anwendung, 1931 (mit Friedrich Körber); Kristallstruktur der Silikate, in: Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften, Bd. 11, 1932, 353–434 und Bd. 12, 220–296; Methoden der Kristallstrukturbestimmung mit Röntgenstrahlen, 1932; Spannungsmessung an Werkstücken, 1938; Röntgenographische Feinstrukturuntersuchungen an natürlichen und synthetischen Asbestarten, in: Chemie der Erde, Bd. 22, 1962, 587–654.

 Literatur: Wer ist wer? 1965; Hdb SBZ/DDR, 771; Wer war wer DDR, 739; Johann C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. VI/4, 1939; Marianne Schminder, Nationalpreisträger Prof. Dr. phil. E. S. 65 Jahre, in: Wissenschaftlichwe Zs. der Technischen Hochschule Magdeburg, H. 1, 1959 (B); Egon Becker, Prof. Dr. phil. E. S. Biographische Skizze, in: ebd. 27, H. 3, 1983, 43–48 (B); Hans-Ulrich Richter, Chronik der zerstörungsfreien Materialprüfung, 1999, 412 (B).

Bildquelle: *Audiovisuelles Medienzentrum der Universität Magdeburg.

Heribert Stroppe

letzte Änderung: 28.02.2005