Fontane, Theodor (Henri
Thèodore) |
In seiner Lehrzeit bei Wilhelm Rose in der Berliner Apotheke “Zum weißen Schwan” hörte F. von seinem Lehrherrn Vorträge über Kultur und Geographie europäischer Länder. F. war Mitglied mehrerer literarischer Vereine (Lenau-Gesellschaft, Platen-Klub), war äußerst interessiert am Theaterleben Berlins und begeisterter Leser des Berliner Figaro. In dieser Zeitschrift veröffentlichte er eine Reihe eigener Gedichte und zudem seine erste selbst verfaßte Novelle. Mit einigen Berliner Schriftstellern stand er in persönlicher intensiver Verbindung. Aus diesen engen und unmittelbaren kulturellen Bindungen erfolgte F.s Übersiedlung in den ersten Oktobertagen 1840 nach Burg. Die königlich privilegierte Adler-Apotheke am Markt war drei Monate seine Wirkungsstätte als junger Apothekerprovisor. F. kam in das Provinzstädtchen, “um seinen Gesichtskreis zu erweitern”. Der Apotheker, August Theodor Kannenberg, gewann aus der Quecke Heilmittel gegen Blasenentzündung, Ekzeme und Steinerkrankungen. F. erlebte in der aufstrebenden Industriestadt der Tuchindustrie mit zahlreichen Dampfmaschinen, aber wenig Kultur, viel Arbeit, Kälte und Hunger. Gewiß durch den Kulturschock infolge seiner Umsiedlung von Berlin nach Burg kam das Leben hier in seinen Texten nicht gut davon. Seine Themenbereiche Roland, Burger Bürger, Theater, Menagerie, Metamorphose, die Liberalen, der Burg’sche Kurier, Visionen und Epilog bilden eine einzigartige Sammlung von spöttischen, satirischen und bisweilen sogar beleidigenden Versen. Ein Zitat zur Bürgerschaft soll hier genügen: “Einem ries’gen Stall von Schafen gleicht fürwahr die ganze Stadt.” In dem satirischen Epos “Burg an der Ihle” behandelt der erste Gesang das Schicksal des Burger Rolands, so rettete F. mit seiner spitzen Feder die kargen Reste dieses Riesen. Der Rolandkopf wurde am ehemaligen Gildehaus angebracht. Genau an seinem 21. Geburtstag, am 30.12.1840, verließ er, zusammen mit zwei attraktiven Schauspielerinnen, Burg mit der Postkutsche in Richtung Berlin. In seinen späteren Jahren hat F. auf sein Epos “Burg an der Ihle” kaum noch Bezug genommen. Im Gegenteil, in seiner autobiographischen Darstellung “Von Zwanzig bis Dreißig” (1898) schrieb er nachbetrachtend über seine Burger Zeit: “Ich kam in der Stadt gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, grausame Langeweile. Daß die Stadt ausschließlich daran Schuld gewesen sei, darf ich nicht behaupten, es lag vielmehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstand, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf denkbar bestem Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur das Eis gebrochen war”.
Werke: Burg an der Ihle, 1840; Faksimiledruck der Fontane-Handschrift Roland, 1928; Kurt Schreinert/Edgar Groß (Hg.), Sämtliche Werke (24 Bde), 1959–1975.
Literatur: Killy, 430–452 (W,B); Paul Nüchterlein, T. F. wohnte in Burg, in: Volksstimme Burg vom 10.08.1994; ders., Teestunde mit T. F., in: General-Anzeiger Burg vom 29.07.1998; Klaus Möbius, Kritisches Urteil: F. plagte in Burg “grausame Langeweile”, in: Volksstimme Burg vom 30.01.1999.
Bildquelle: *F.-Archiv Potsdam: Kreidezeichnung.
Paul Nüchterlein
letzte Änderung:19.08.2004