Götze, Wilhelm (genannt Vater G.)
geb. 02.02.1871 Großwusterwitz/Kreis Jerichow II,
gest. 14.06.1954 Brandenburg,
Puppenspieler und -schnitzer, Dichter, Original.

G. wuchs in armen Verhältnissen auf. Seine Mutter war Botenfrau, der Vater starb vor der Geburt seines Sohnes. Der sportliche und komödiantisch talentierte Junge gab die Lehre im Schneiderhandwerk in Genthin und Helmstedt auf und ging auf die Wanderschaft durch die Schweiz, Italien, Frankreich, Österreich, Holland und Deutschland. Er lernte erstmalig wahrscheinlich in Magdeburg oder Hannover den Zirkus kennen. Im Zirkus arbeitete er zehn Jahre als Stalljunge und Flickschneider, dann trat er als Clown und Artist auf. Lehrreich waren für ihn die Auftritte beim Zirkus Vorlop aus Osterwieck und Knie/Schweiz sowie beim Marionetten-Theater Zehrmann aus Treuenbrietzen. Von 1893 bis 1895 mußte der eigenwillige Individualist zwangsweise im Kaiserlichen Strafregiment dienen. 1898 heiratete G. ein Berliner Dienstmädchen, das aus Ziesar kam. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor, “vier Jungens und zwei Mädchen sind se, alle im Wohnwagen jeborn, det eine hier, det andere da” (W. G.). Reich an Erfahrungen eröffnete der Autodidakt G. am 02.02.1895 sein Puppentheater in Großwusterwitz. Seine Frau, genannt Mutter G., und fünf seiner Kinder arbeiteten als Künstler im Familienunternehmen mit. Gemeinsam mit ihren Kindern nähte Frau G. die Kleidung für die Marionetten, und G. schnitzte die Figuren. In Dörfern und Städten in Mecklenburg, Brandenburg, in der Altmark und im Harz traten G.s mit ihrem Marionetten-Theater auf. Ein Hunde- wagen, später ein Planwagen und Pferd dienten für den Transport der Requisiten. Nach 1910 zog die Familie mit einem Wohn- und einem Bühnenwagen durch die Lande. Im I. Weltkrieg wurde G. trotz eines individuellen Protestes auf dem Kasernenhof zum Kriegsdienst gezwungen. Nach der Militärzeit setzte er seine Arbeit als Puppenspieler fort und gründete 1918 die “Universal-Künstler-Gruppe Familie G.”. Das Varieté-Programm wurde mit Musik, Artistik und Athletik erweitert, das Marionetten-Theater stand weiterhin im Angebot. Erst 1922 erhielt G. die staatliche Anerkennung als Künstler und Marionettenspieler. Bis 1958 wurde das Marionetten-Theater von G.s Söhnen weitergeführt. Seit 1930 ging G. nicht mehr mit der Familie-Künstlertruppe auf Tournee. Er gestaltete auf seinem am Wusterwitzer See gelegenen Grundstück mit seinen selbstgeschaffenen kuriosen und volkskünstlerischen Schnitzereien und Figuren eine Idylle. “G.s Höh’” wurde zum beliebten Ausflugsziel. G. führte die Besucher, erläuterte humorvoll, drastisch, derb, aber volkstümlich sein Anwesen und glossierte vieles. Damals entstanden zahlreiche Anekdoten über Persönlichkeiten und regionale Ereignisse. Vater G., sein Marionettentheater und G.s Höh’ sind noch heute im Wusterwitzer und Brandenburger Gebiet in Erinnerung geblieben.

Literatur: Olaf Bernstengel, W. G. 1871–1954, Puppenspieler und Puppenschnitzer aus Wusterwitz, hg. vom Städtischen Puppentheater, Freundeskreis Puppenspiel des Kulturbundes der DDR, Magdeburg, 1981; Katharina Kreschel/Olaf Bernstengel, Der Puppenspieler Vater G., in: Brandenburger Originale, Brandenburger Museums-H., Bd. 2, 1993, 3–30; Johannes Richter, Vergleich von Spielgebieten sowie Spiel- und Reisebedingungen mitteldeutsche Puppenspieler, in: Beiträge zum Symposium – Über den Alltag der reisenden Puppenspieler, 2001 (in Vorbereitung).

Bildquellen: Kreismuseum. Genthin; *Puppentheater Johannes Richter, Magdeburg (privat).

Katharina Kreschel