Jänicke, Johannes, Dr. theol. h.c.
geb. 23.10.1900 Berlin,
gest. 30.03.1979 Halle,
evangelischer Theologe, Bischof.

Aufgewachsen in einem pietistisch geprägten, sozial hochengagierten Elternhaus (der Vater war Prediger in der Berliner Stadtmission), erhielt J. seine Bildung im Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin (Abitur Juni 1918). In den letzten Monaten des I. Weltkrieges wurde er noch zum Militärdienst eingezogen und studierte ab November 1918 in Berlin und Basel evangelische Theologie. Als Vikar war J. in Berlin eingesetzt, seit 1925 als Hilfsprediger und Stadtvikar. Die erste Pfarrstelle erhielt er 1926 in Luckenwalde. 1926 heiratete er Eva Rudolphi, die ihm bis zu ihrem Tode 1965 unersetzliche Partnerin war (zwei Pflegekinder). Von 1929 bis 1935 Pfarrer an St. Ulrich in Halle, übernahm J. 1935 die Pfarrstelle in Palmnicken / Ostpreußen, die er, unterbrochen durch den Militärdienst (1939/40) und den Einsatz als Sanitäter (1943/45), bis zur Ausweisung im August 1947 betreute. Seit 1934 Mitglied der Bekennenden Kirche (BK) und des Pfarrernotbundes, leitete er ohne Scheu vor persönlicher Gefährdung 1940–43 den ostpreußischen Bruderrat der BK. Seit Juli 1947 zunächst kommissarisch als Pfarrer in Berlin-Schlachtensee tätig, war er anschließend kurze Zeit (Juni 1947 bis Januar 1949) Direktor des Burckhardthauses Berlin-Dahlem. J. wurde 1949 als Nachfolger von Julius Schniewind zum Propst von Halle-Merseburg und 1955 zum Bischof der Kirchenprovinz Sachsen berufen. Trotz schwerer gesundheitlicher Belastungen in den letzten Dienstjahren übte J. das Bischofsamt bis zur Vollendung seines 68. Lebensjahres aus. Seit 1968 im Ruhestand leitete er noch als Kuratoriumsvorsitzender die Entwicklung des Evangelischen Diakoniewerks Halle. 1956 verlieh ihm die Theologie Fakultät der Universität Göttingen die Ehrendoktorwürde. Selbst hoch gebildet, war J. einerseits durch die Jugendbewegung, andererseits durch die dialektische Theologie und durch die Hinwendung der evangelischer Sozialarbeit zur Arbeiterschaft geprägt. In lebendiger Spiritualität wirkte er, insbesondere durch seine Predigttätigkeit, als Volksmissionar seiner Kirche. Der heilenden Seelsorge gab J. mit der Gründung des Julius-Schniewind-Hauses in Schönebeck-Salzelmen 1957 eine Heimstatt. In den politischen Auseinandersetzungen und in den Belastungen durch die Trennung der beiden deutschen Staaten setzte er deutliche Akzente. Die repressive Durchsetzung der Jugendweihe wurde in der Kirchenprovinz Sachsen seit 1955 mit dem Versuch beantwortet, das Christusbekenntnis der Familien zu stärken. Intensiv wurde das Verständnis von Konfirmation und Abendmahl neu formuliert – aber ohne die volkskirchliche Sitte der Konfirmation erhalten zu können. Nach der Einführung der Wehrpflicht in der DDR und der Aufstellung der Baueinheiten in der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) verabschiedete 1965 eine Arbeitsgruppe unter J.s wegweisender Leitung die “Handreichung zum Friedensdienst der Kirche” (Text in: Kirchliches Jahrbuch 1966, 248–261; Druck in der DDR nicht möglich), die trotz energischer Gegenreaktionen des Staates für die Seelsorge an Wehrpflichtigen bis 1990 maßgeblich geblieben ist. Für das Recht zur Wehrdienstverweigerung ist J. nachdrücklich eingetreten. Als stellvertretender Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche der Union (1962–66) hat J. 1965 auf der Synode der EKU (wie schon auf der Synode der Kirchenprovinz Sachsen) öffentlich gegen die Trennung der Familien und insbesondere wegen der Schüsse an der Mauer protestiert (vgl. Kirchliches Jahrbuch 1966). Die Auseinandersetzungen wegen der Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft, der Zwangsumsiedlungen von Familien in den Sperrgebieten an der Westgrenze der DDR und wegen der engen Arbeitskontakte mit den westlichen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland brachten immer neue Konflikte mit dem Staatsapparat. Das hohe Mißtrauen der DDR gegen die konsequente Haltung von Bischof J. wird belegt durch die Abhör-Überwachung seines Dienstzimmers (1961–64). Bei der Vorbereitung des Reformationsjubiläums 1967 kam es zum Eklat, als J. aus dem staatlichen Vorbereitungskomitee wegen dessen kulturpolitischer Linie austrat. Eine Stellungnahme der Magdeburger Kirchenleitung zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die ČSSR im August 1968 durfte nicht von den Kanzeln verlesen werden. Die Magdeburger Kirchenleitung erklärte bei seinem Tode: “Wir gedenken seines Wirkens in der Verkündigung, in der Seelsorge und der Leitung der Kirche, das ausgestrahlt hat in das Leben von Mitarbeitern und Gemeinden unserer Kirchenprovinz und bedeutsam geworden ist für den Weg der evangelischen Christenheit unseres ganzen Landes in der Bindung an das befreiende Wort des Evangeliums. Wir verlieren in ihm einen geistlichen Vater.”

Werke: Bericht des Bischofs J.J. erstattet auf der Provinzialsynode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 19.10.1968, 1968; Ich konnte dabeisein. Der Lebensweg des J. J. (1900–1979), … von ihm selbst erzählt, 1984, 21986; Johannes Dressler (Bearb.), Auf Hoffnung hin leben. Eine Auswahl von Predigten, 1984.

Nachlaß: AKPS.

Literatur: Wer war wer DDR, 388f.; Beate-Maria Mücksch, Der Weg der evangelischen Kirche nach dem II. Weltkrieg in den Reflexionen von J. J., 1988.

Archivalien: AKPS: Rep. A, Spec. P, J 146 (PA).

Bildquelle: AKPS.

Harald Schultze