Nehring, Carl Wilhelm Alfred, Prof. Dr. phil.
geb. 29.01.1845 Gandersheim,
gest. 29.09.1904 Berlin,
Hochschullehrer, Paläozoologe, Geheimer Regierungsrat.

N. studierte ab 1863 in Göttingen und Halle, promovierte dort 1867 und war zunächst in Wesel und 1871–81 in Wolfenbüttel Gymnasiallehrer. 1881 wurde N. zum Professor für Zoologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin ernannt, wo er bis zu seinem Tode wirkte. Von Wolfenbüttel aus betrieb N. seit ca. 1874 seine Forschungen im nahen Thiede und in dem 60 km entfernten Westeregeln. Die Ausgrabungen einer reichen spätpleistozänen Fauna und archäologische Beobachtungen in lößgefüllten Gipsschlotten durch N. beanspruchen in mehrfacher Hinsicht forschungsgeschichtliches Interesse. Die Totengemeinschaft der gefundenen Tiere wurde von N. als eine kennzeichnende Steppenfauna identifiziert, worauf seine These fußt, daß am Ende der Eiszeit eine ausgedehnte Steppenlandschaft im Gebiet entstanden war. Seine Funde und Forschungsergebnisse hat N. in vielen Fachzeitschriften häufig publiziert und damit lebhafte, z. T. kontroverse Meinungsäußerungen hervorgerufen, die im Zusammenhang mit der eben erst diskutierten Theorie der Inlandvereisung wie auch der neuen Auffassung von der äolischen Bildung der Lößablagerungen ganz neue Aspekte der Geschichte des späten Pleistozän eröffneten. Vorbildlich und wegweisend waren die paläobiologische Ausdeutung der einzelnen Formen und die Gliederung der Gesamtfauna, sowie ihre Prüfung auf klimatologische und ökologische Aussagefähigkeit. Zerschlagene und angekohlte Tierknochen, Holzkohle und Silexabschläge zeichneten Westeregeln (zusammen mit Thiede bei Wolfenbüttel) zugleich als ältesten Fundplatz von Feuersteinartefakten des paläolithischen Menschen im Magdeburgischen aus – als die Stelle, wo 1875 die Koexistenz des Menschen mit den Großsäugetieren des Eiszeitalters für ganz Norddeutschland zuerst festgestellt werden konnte.

Werke: Vorgeschichtliche Steininstrumente Norddeutschlands, 1874; Die quaternären Faunen von Thiede und Westeregeln, nebst Spuren des vorgeschichtlichen Menschen, 1878; Neue Beweise für die ehemalige Existenz von Steppendistricten in Deutschland, in: Ausland 53, 1880, 501–505; Über den Löß, seine Fauna und das Problem seiner Entstehung, in: 1. Jahresbericht des Vereins für Naturwissenschaften, 1879/80, 11f.; Über Tundren und Steppen der Jetzt- und Vorzeit, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Fauna, 1890.

Nachlaß: Naturkundemuseum Berlin.

Literatur: BioJb 9, 1904; Johann C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. III/2, 1898, Bd. IV/2, 1904; E. Friedel, A. N. als Erforscher unserer Heimat, in: Brandenburgia 13, 1904/05, 289–301; Walter Schulz, Bibliographien zur Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands, Bd. 1: Sachsen-Anhalt und Thüringen, 1955; 21962; Volker Toepfer, Westeregeln – ein klassischer Fundplatz für die Forschungsgeschichte des mitteldeutschen Pleistozäns, in: Js. für mitteldeutsche Vorgeschichte 50, 1966, 1–20.

Heinz Nowak

geändert: 09.06.2004