Weißler, Friedrich, Dr. jur.
geb. 28.04.1891 Königshütte/Oberschlesien,
gest. 19.02.1937 Konzentrationslager Sachsenhausen,
Jurist.

W. war Sohn des jüdischen Rechtsanwalts Adolf W. aus Halle, der sich große Verdienste um die deutsche Rechtsanwaltschaft erwarb und als deutscher Patriot unter dem Eindruck des Versailler Vertrages 1919 Selbstmord beging. Nach dem Schulbesuch in Halle studierte W. Jura in Halle und Bonn. Nach seinem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger (1913) wurde er als Referendar an das Amtsgericht nach Eilenburg versetzt und promovierte 1914 in Halle. Mit Ausbruch des I. Weltkrieges meldete sich W. als Freiwilliger und leistete, zuletzt als Leutnant, mehr als vier Jahre Kriegsdienst in vorderster Front. 1920 setzte er sein Referendariat in Halle fort und trat 1921 in den preußischen Justizdienst ein. Nachdem er zuletzt am Oberlandesgericht in Naumburg und ab 1930 als stellvertretender Vorsitzender beim Arbeitsgericht in Halle tätig war, wurde W. am 01.12.1932 zum Landgerichtsdirektor in Magdeburg ernannt, aber schon nach wenigen Monaten, am 21.07.1933, u.a. seiner jüdischen Herkunft wegen rechtswidrig aus dem Richterdienst entlassen. Er hatte in einer Strafverhandlung kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zulässigerweise gegen einen in SA-Uniform agierenden Angeklagten eine Ordnungsstrafe von drei RM verhängt. Später wurde W. deshalb von Mitgliedern der SA gewalttätig gezwungen, auf dem Balkon des Landgerichtes Magdeburg die Hakenkreuzfahne zu grüßen. Nach seiner Amtsenthebung nach Berlin übergesiedelt, wurde W. ab November 1934 als juristischer Berater, ab 1936 als Kanzlei-Chef der ersten Vorläufigen Kirchenleitung der Bekennenden Kirche (BK) und Mitarbeiter von Karl Barth und Martin Niemöller tätig, die in entschiedener Opposition zum Nationalsozialismus stand. Als gläubiger evangelischer Christ war er hier 1936 auch Mitverfasser einer “Denkschrift” an Adolf Hitler, eines einzigartigen Dokuments des Protestes der BK gegen Staatsverherrlichung, Unterdrückung der Kirche, Antisemitismus und Konzentrationslager, die am 04.06.1936 in der Berliner Präsidialkanzlei übergeben wurde. Als ihr Wortlaut planwidrig in der Weltöffentlichkeit bekannt wurde (Basler Nachrichten vom 23.07.1936), geriet W. in den – letztlich unbegründeten – Verdacht, das Ausland informiert zu haben. Er wurde am 16.09.1936 aus der Vorläufigen Leitung der BK entlassen, am 07.10.1936 mit anderen Verdächtigen von der Gestapo verhaftet, im Februar 1937 ins Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht und bestialisch zu Tode gequält. Der vielseitige juristische Schriftsteller W. war u. a. Mitbegründer eines bis heute fortgeführten “Kommentars zur Grundbuchordnung” (1934, 221997).

Werke: Die Behandlung entfernter Möglichkeiten im Privatrecht. Ein Beitrag zur Lehre vom Vertrauensschutz, Diss. Halle 1914; Brief an die deutsche Politik, in: Deutsche Politik. Wochenschrift für Welt- und Kultur-Politik 4, H. 8, 1919, 255f.; (Bearb., Hg.) Formularbuch für freiwillige Gerichtsbarkeit, 1919-1931; Freiwillige Gerichtsbarkeit, 1929; Fehlerhafte Urkunden aus Privat- und öffentlichem Recht, Prozessrecht, 1932; Von der rechtlichen Bedeutung des Bekenntnisses, in: Junge Kirche. Evangelische Kirchenzeitung 3, 1935, 362-367.

Literatur: BBKL 25, Sp. *** (W, L) [erscheint 2006]; Bernhard Heinrich Forck (Hg.), „ … und folget ihrem Glauben nach“. Gedenkbuch für die Blutzeugen der Bekennenden Kirche, 1949, 11–22; Helmut Gollwitzer/Käthe Kuhn/Reinhold Schneider, Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933–1945, 1954, 186f.; Annedore Leber (Hg.), Das Gewissen entscheidet. Bereiche des deutschen  Widerstandes von 1933–1945 in Lebensbildern, 1957, 156-158; Werner Oehme, Märtyrer der evangelischen Christenheit 1933–1945, Neunundzwanzig Lebensbilder, 1979, 36-42; Werner Koch, „Sollen wir K. weiter beobachten?“ Ein Leben im Widerstand, 1982, 100, 171-187 u.ö.; Rainer Lächele, F. W. zum Gedenken, in: Junge Kirche. Evangelische Kirchenzeitung 48, 1987, 568-570; Werner Koch, F. W. (1891-1937) – Christlicher Blutzeuge des Rechts, in: Kritische Justiz (Hg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, 1988, 330-341; F. W., ein „Jude“ – der erste Märtyrer der Bekennenden Kirche, in: Eberhard Röhm/Jörg Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche. Bd. 2/I: 1935-1938. Entrechtet, 1992, 165-186; Martin Greschat, F. W., ein Jurist der Bekennenden Kirche im Widerstand gegen Hitler, in: Justizministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt, Bd. 3, H. 7, 1997, 271-277; Karsten Minkner, F. W., von den Nazis ermordet – von der Bekennenden Kirche verkannt, in: Junge Kirche. Evangelische Kirchenzeitung 58, 1997, 87-91; Dieter Miosge, Bericht über Leben und Sterben des Landgerichtsdirektors Dr. F. W., in: Neue Juristische Wochenschrift 50, H. 39, 1997, 2571-2576; Dieter Miosge, Richteramt und Entlassung des Landgerichtsdirektors Dr. F. W., in: Justizministerialblatt für das Land Sachsen-Anhalt, Bd. 3, H. 7, 1997, 267-271; Peter Steinbach, F. W. – Jurist, Bekennender Christ, Regimegegner, in: Recht und Politik 33, H. 2, 1997, 111-116; Rüdiger Weyer, Kirche – Staat – Gesellschaft in Autobiographien des Kirchenkampfes, 1997, 160-170; Martin Greschat, F. W. – Ein Jurist der Bekennenden Kirche im Widerstand gegen Hitler, in: Ursula Büttner/Martin Greschat (Hg.), Die verlassenen Kinder der Kirche. Der Umgang mit Christen jüdischer Herkunft im „Dritten Reich“, 1998, 86-122; Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.), Lexikon des Widerstands 1933–1945, ²1998, 217; Gerhard Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich. Spaltungen und Abwehrkämpfe 1934–1937, 2001, 489-499; Björn Mensing/Heinrich Rathke, Mitmenschlichkeit, Zivilcourage, Gottvertrauen, 2003, 44-46; Michael Germann, F. W. im Dienst der Bekennenden Kirche, in: Armin Höland/Heiner Lück (Hg.), Juristenkarrieren in der preußischen Provinz Sachsen (1919–1945). Lebenswege und Wirkungen, 2004, 52-80; Dieter Miosge, F. W. (1891–1937). Ein Juristenschicksal, in: Armin Höland/Heiner Lück (Hg.), Juristenkarrieren in der preußischen Provinz Sachsen (1919–1945). Lebenswege und Wirkungen, 2004, 43-51; Werner Koch, Fürchte dich nicht, glaube nur… im Gedenken an Dr. F. W. (1891–1937), in: Junge Kirche. Evangelische Kirchenzeitung 66, H. 3, 2005 (in Vorb.), Unterlagen der Familie W., Erlangen. – Literatur zur „Denkschrift“: Wilhelm Niemöller, Die Bekennende Kirche sagt Hitler die Wahrheit. Die Geschichte der Denkschrift der Vorläufigen Leitung von Mai 1936, 1954; Eberhard Röhm/Jörg Thierfelder, Evangelische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Bilder und Texte einer Ausstellung, 1981, 90f.; Martin Greschat (Hg.), Zwischen Widerspruch und Widerstand. Texte zur Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler (1936), in: Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte 6, 1987, 147ff. u.ö.; Die Bekennende Kirche prangert das Unrecht des NS-Staats an – die Denkschrift der zweiten Vorläufigen Leitung der DEK 1936, in: Eberhard Röhm/Jörg Thierfelder, Juden – Christen – Deutsche. Bd. 2/I: 1935–1938. Entrechtet, 1992, 152-164; Gerhard Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich. Spaltungen und Abwehrkämpfe 1934-1937, 2001, 482-510.

Bildquelle: *Familie W., Erlangen (privat).

Thomas Kluger

letzte Änderung: 13.04.2005